Dampfgeschütz

Dampfgeschütz

Dampfgeschütz. Sobald die Anwendung des Dampfes zu mechanischen Zwecken allgemein wurde, kam man auch auf die Idee, Kugeln od. andere feste Körper damit fortzuschleudern u. ihn also zu Geschützen (Dampfartillerie) zu brauchen. Sobald der Dampf erzeugt ist u. sich bis zu einer gewissen Kraft ausgedehnt hat, öffnet man ihm einen Weg in ein Rohr. Dort findet er Widerstand in einer od. einigen Kugeln u. treibt, diesen überwindend, die Kugeln vor sich her. Der französische General Girard hatte wohl zuerst die Idee; er errichtete gegen das Jahr 1813 eine kleine Dampfbatterie. Ein Kessel lieferte Dampf für 6 Flintenröhre, die man nach Gefallen eröffnen konnte. Ein Haufen von Kugeln wurde auf sie gelegt, u. wenn die Maschine in Activität gesetzt wurde, nahmen diese Röhren[672] den Dampf u. die Kugeln zugleich auf u. letztere wurden durch den Dampf fortgetrieben. Die größte Stärke u. die weitesten Schüsse erfolgten bei langsamem Umdrehen, weil dann der Dampf höher stieg u. die Erschöpfung des Dampfes allmähliger erfolgte, wodurch er elastischer u. wirksamer wurde; wenn die Schüsse mit Schnelligkeit erfolgten, wurde die Kraft ermüdet. Es erfolgten in der Minute ungefähr 180 Schüsse. Bei jedem Apparat waren 2 Munitionswagen. Mehrere solcher D-e wurden 1814 zur Vertheidigung von Paris bestimmt, wurden aber auf höhere Ordre an dem Tage zerstört, an welchem die alliirten Truppen in diese Stadt einzogen. (Vgl. Annales des sciences militaires u. Annales de l'industrie für 1828). Perkins in London ergriff dieselbe Idee. Seine Maschine besteht auch aus einem langen u. starken Laufe u. wird mit mehr Recht Dampfflinte als Dampfkanone genannt. Letzteren Namen hat sie wohl mehr, weil zu ihrer Fortbringung, nebst der Dampfmaschine, welche die Kugeln in Bewegung setzt, ein Wagen, mit mehreren Pferden bespannt, nöthig u. sie überhaupt eine complicirte, durch mehrere Räder hoch aufbauende Maschine ist. Eine solche Maschine ist (od. war wenigstens 1835) in der Adelaidengallerie in London aufgestellt. Sie schießt 70 Kugeln in 4 Secunden, jede einzeln ab, u. also, da eben so viel Zeit zum Laden nöthig ist, 420 in der Minute, 25,200 in der Stunde. Die Kugeln können einzeln od. in Massen in das D. geladen werden. Die Kugeln in kurzen Zwischenräumen, 50 Schritte weit gegen ein eisernes Schild geschossen, dringen durch 111/2 Zoll von einander entfernte Breter, auch durch eine Eisenplatte von 3/4 Zoll. Mittelst einer an den Lauf, der die Kugeln abschießt, geschraubten, mit Kugeln gefüllten Röhre wird eine außerordentliche Geschwindigkeit in Hinsicht des Aufeinanderfolgens der Schüsse hervorgebracht, u. man berechnet, daß man mittelst eines Rades, welches es möglich macht, mehrere solche Röhren schnell auf einander folgen zu lassen, 1000 Schüsse in einer Minute thun könne. Die Maschine gestattet mittelst eines Gewindes eine sehr schnelle Seitenrichtung. Die Kraft der Maschine beträgt 800 Pfd. (65 Atmosphären) auf den Quadratzoll; doch kann sie auf 200 Atmosphären gesteigert werden. Man hat berechnet, daß 1 solches D. so viel Wirkung hervorbringe, als 30 Kanonen. Trotz dieser Ergebnisse u. obgleich man in England die Versuche bis zur neuesten Zeit u. mit einem Geschütz von colossalem Kaliber fortgesetzt hat, scheint es nicht, als ob das D. eine Revolution in dem Kriege hervorbringen würde. Die Maschine ist zu schwer, die Erzeugung des Dampfs mit zu vielen Umständen verknüpft, die Anschaffung derselben zu kostspielig etc., als daß sie in freiem Felde einzuführen wäre. Mit mehr Nutzen können sie dagegen vielleicht im Seekriege auf Schiffen u. bei Vertheidigung von Festungen, wo sie den Platz nicht verändern, angewendet werden.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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