Skythĭen

Skythĭen

Skythĭen, Land im Norden Europas u. Asiens, welchem in verschiedenen Zeiten verschiedene Ausdehnung gegeben wurde; in ältester Zeit verstand an darunter den ganzen wenig bekannten u. ganz unbekannten Norden der Erde; dann das Land der nördlich u. nordöstlich über der Donau u. dem Schwarzen u. Kaspischen Meer bis tief in das östliche Asien hinein wohnenden Nomadenvölker, denen die Sarmaten u. Celten westlich wohnten, also das südliche Rußland, die Steppen der Usbeken, Kirgisen, Baschkiren etc. bis nach der Tatarei u. Tibet. Bei Herodot sind die Grenzen Skythiens im Westen der Ister, die Berge het Agathyrsen u. der Neurer, nördlich die große Wüste, östlich der Tanais u. die Palus Mäotis, südlich der Pontos euxinos. Dies war Westskythien od. das Europäische Skythien; wogegen Östskythien od. das Asiatische Skythien, welches Ptolemäos allein noch S. nennt, in zwei durch den (im Alterthum weiter nördlich sich erstreckenden) Imaos getrennte Theile zerfiel: a) Scythia intra Imanum, hatte zu Grenzen in Norden das unbekannte Land, östlich den Imaos, südlich das Sakerland, Sogdiana, Margiana u. das Kaspische Meer, westlich das Asiatische Sarmatien, reichte also vom Ural bis zum Himalaya u. Sir u. umfaßte die Länder der Kirgisen, Karakalpaken etc. b) Scythia extra Imanum, begriff das Land östlich vom Imaos, nördlich von Indien, westlich von Serica u. südlich von der großen Wüste, also das östliche Turkestan, Kaschgar etc. Gebirge: im Nordwesten die Rhymulschen, Alanischen, Syrbischen, Aspisischen, Tapurischen, im Osten die Anareischen, Anaitischen, im Süden die Oxirischen u. Sogdischen, der Afkatankas u. Kasischen Gebirge; Flüsse in beiden S.: Paropamisos, Rhymnos, Daix, Jarartes, Talikos, Jastos, Polytimetos; Landsee: Oxiana palus. Die Hauptproducte des Landes waren Gold, Kupfer, Edelsteine (Diamanten, Smaragden, Lapis Lazuli), Krystalle, Ultramarin, Rhabarber; Kameele, Pferde. Als Einwohner des Landes, Skythä, nennt Herodot am Schwarzen Meere von Westen nach Osten vom Hypanis bis zum Borysthenes die Kallipidä od. Griechischen Skythen, u. nördlich von diesen die Alazones, welche beide Getreide für ihren Bedarf bauten, außerdem Zwiebeln, Lauch, Linsen, Hirsen aßen; dann die Ackerbautreibenden Skythen, welche Getreide zum Verkauf bauten, die Neurer, dann Wüste, jenseit des Borysthenes Borysthenitä od. Olliopolitä, auch Ackerbauer; nördlich Wüste; weiter östlich die Nomadischen Skythen bis an den Gerrhos, dann u. jenseit desselben bis an den Tanais die Königlichen Skythen, welche die angesehensten u. zahlreichsten waren u. sich für die Herren der andern hielten. Einzelne Völkerschaften der Asiatischen Skythen waren in S. intra Imaum die Rhymui, Asiotä, Aorsi, Jarartá, Ariakä, Namastä, Sagaraukä, Rhibii, bes. die Massagetä u. Sakä, zu letzteren gehörten die Sakarauli, ferner Askatankä, Anarei, Tapurei, Aspisli, Argippäi; in S. extra Imaum die Auzakitä, Issedones, Chatä, Chauranäi. Die Skythen waren nach Herodots Schilderung nicht groß, aber wohlbeleibt, Männer u. Weiber von fast gleichförmiger Physiognomie von gelblich brauner Farbe; sie. waren meist Nomaden, ohne feste Wohnsitze, nährten sich von ihren Heerden, aßen Fleisch, tranken Pferdemilch, bes. saure, u. verfertigten Käse (gr. Hippake) daraus; wo es Wein gab, trank man denselben ungemischt. Ihre Kleidung waren weite lederne Beinkleider u. spitze, bis auf die Schultern herabhängende Mütze, für Sommerkleider webten die Frauen grobe Leinwand von dem im Lande wild wachsenden Hans. Sie wohnten auf Wagen, worauf sie Zelte hatten, doch waren darin nur Weiber u. Kinder, die Männer folgten der Heerde zu Pferd; die Wohnplätze veränderten die Skythen nur, wenn alles Futter aufgezehrt war. Die Skythen waren ausgezeichnete Reiter u. Bogenschützen (daher auch später die Athener eine große Anzahl derselben anwarben u. ihr ganzes Bogenschützencorps nach ihnen Skythen nannten); außerdem führten sie als Waffen auch Streitäxte, Säbel, Lanzen, Peitschen. Die Skythen standen unter Stammhäuptern; diese unter einem erblichen König, dessen Gewalt durch die Stammhäupter beschränkt war, welche ihn sogar absetzen konnten. Der König konnte mehre Weiber nehmen; gewöhnlich war der jüngste Sohn der Erbe dec Krone. In den Krieg zogen auch Weiber mit; jeder mußte dem Könige den Kopf wenigstens Eines erschlagenen Feindes bringen, sonst durfte er nicht mit aus dem gemeinschaftlichen Becher bei den öffentlichen Gelagen trinken. Sie faßten die Schädel der erschlagenen feindlichen Heerführer mit Gold ein u. brauchten dieselben als Trinkgefäße; auch scalpirten sie die erschlagenen Feinde u. hängten die Scalpe als Zierrath an ihren Pferden auf; die Gefangenen wurden geblendet u. zum Melken ihrer Kühe u. bei der Käsemacherei gebraucht. Die Religion der Skythenwarpolytheistisch, dem Kriegsgott (Tyr) allein wurden Altäre u. Tempel errichtet; außerdem sollen sie ein Schwert als Gott verehrt haben, vielleicht blos Symbol für den Kriegsgott. Bei den alten Schriftstellern werden[197] als skythishe Gottheiten noch genennt: Pappäus, der Göttervater, dessen Gattin Apia, Göttin der Erde, Thamisadas, Gott des Wassers, Ötosyr, Gott des Lichtes, Artimpasia, die Göttin der Liebe; Tabiti, die Göttin des Herdfeuers, bei ihr wurde geschworen, Meineid wurde mit dem Tode gestraft. Geopfert wurden den Göttern Thiere, bes. Pferde, welche erwürgt wurden, dem Kriegsgotte auch Menschen. Sie hatten auch Zauberer, Wahrsager u. Zeichendeuter, welche großes Ansehen genossen u. aus Loosen von Weiden- u. Lindenholz wahrsagten. Bei Schließung von Bündnissen tranken sie Wein mit ihrem eigenen Blut vermischt. Wenn ein Skythe mit dem Tode bestraft wurde, so ging diese Strafe auch auf seine männlichen Nachkommen über; Gestorbene wurden 40 Tage lang auf Wagen bei den Verwandten umher gefahren u. dann erst begraben; Einige hängten die Leiche auch an Bäume auf. Von der Sprache der Skythen sind nur einzelne Wörter bei alten Schriftstellern bekannt; sind die Skythen wirklich die späteren Tschuden, so würde ihre Sprache die des Finnischen od. Tatarischen Stammes sein, wie auch Norris die eine der drei Übersetzungen der Inschrift von Behistun skythisch nennt, welche aber nicht finnisch zu sein scheint. Wenn Andere sagen, daß die Skythische Sprache nicht verschieden von der Sarmatischen, also Slawischen, war, so kommt dies von der Verwechslung der Namen der Sarmaten u. der westlichen Skythen. Obgleich es bei den Skythen nicht Sitte war in fremde Länder zu reisen, so sollen doch zu verschiedenen Zeiten Einzelne von ihnen nach Griechenland gekommen sein, bes. Toxaris u. Anacharsis (s. b). Handel singen erst die südlich Wohnenden an, bes. mit Sklaven. Dioskurias, Pantikapäon u. Phanagoria waren Hauptsitze desselben; außerdem war ein starker Vertrieb mit Salz, Pelzwerk, Vieh u. Getreide. Vgl. C. F. Cramer, Skythische Denkmäler von Palästina, Kiel 1775.

Der Name Skythen soll nach Einigen eine Gräcisirung von Tschuden sein, wornach die Skythen Finnen wären; Andere halten sie für eine Abtheilung des medisch-persischen Stammes; griechische Sagen leiteten nach ihrer Weise Namen u. Ursprung der Skythen von Skythes, einem Sohne des Herakles u. der Echidna, ab; nach inländischen Sagen soll Targitaos, Sohn des Göttervaters Pappäus, 1450 v. Chr. Gründer des Volkes gewesen sein, dessen Anfang die Griechen in dem über dem Schwarzen Meere zwischen Don u. Dnepr sitzenden Skythen suchten. Er hatte drei Söhne, Lipoxais, von welchem die Auchaten, Arpoxais, von welchem die Katiaren u. Traspier, u. Kolexais, von welchem die Paralaten abstammten. Der gemeinschaftliche Name dieses in drei Zweige getheilten Urstammes war Skoloten. Um die Mitte des 7. Jahrh. v. Chr. wurden die Skythen von den Massageten vorwärts gedrängt, gingen über den Araxes u. nahmen unter Anführung des Madyas das Land der vertriebenen Kimmerier ein. Um 633 machten sie einen Einfall in Medien; als dies der damalige König von Medien, Kyaxares, erfuhr, brach er die Belagerung von Ninive ab u. zog den Skythen entgegen, wurde aber geschlagen. Darauf machten sich die Skythen einen großen Theil Asieng zinsbar u. schweiften unter Idanthyrsos bis nach Ägypten hinab, wo Psammetich ihren Abzug mit Geld erkaufte u. wobei sie auch das. Reich Juda mit verheerten. Auf der Rückkehr von Ägypten beraubten einige Skythen den Aphroditetempel zu Askalon, wodurch sie sich u. ihren Nachkommen die weibliche Krankheit zugezogen haben sollen. Auf diesem Zuge gaben sie wahrscheinlich die Veranlassung zu dem Entstehen von Skythopolis (s. d). Als sie 28 Jahre lang in Asien mit Übermuth u. Raubsucht gehaust hatten, machte Kyaxares mit seinen Medern die Anführer derselben bei einem Gastmahle trunken u. erschlug sie; die übrig gebliebenen Hausen zogen in ihre früheren Sitze zwischen dem Don u. der Donan zurück. Als Könige der Skythen werden noch angeführt: Saulios, um 610 v. Chr.; er ermordete seinen Bruder Anacharsis nach dessen Rückkehr aus Griechenland, wo er manches Gute gesehen hatte u. es unter den Skythen einführen wollte. Dann Ariantes, von welchem erzählt wird; daß er, um die Anzahl seiner Unterthanen zu erfahren, sich von jedem eine Pfeilspitze liefern u. daraus dann ein großes Monument verfertigen ließ. Um die Skythen für ihre frühern Unthaten in Medien zu züchtigen, unternahm König Darios von Persien 514 od. 513 v. Chr. einen Zug gegen sie; er drang durch Thracien über den Ister in ihr Land, die Skythen aber zogen sich in ihre Steppen zurück, ohne sich in eine Schlacht einzulassen, u. Darios mußte nach großen Verlusten die Rückkehr nach dem Ister antreten. Um 478 v. Chr. war Ariapilhes König der Nomadischen Skythen; er wurde ermordet von Spargapithes, König der Agathyrsen, u. ihm folgte sein Sohn Skylas od. Skythes. Da dieser aber eine zu große Vorliebe für griechische Sitten hatte, empörten sich seine Unterthanen gegen ihn u. wählten seinen Bruder Oktamasades zu ihrem König. Skythes floh nach Thracien zum Sitalkes; dahin folgte ihm Oktamasades u. wollte die Thracier mit Krieg überziehen; allein Sitalkes verrieth dem Oktamasades seinen Bruder, welchem sofort der Kopf abgeschnitten wurde. Fortan regierte Oktamasades über die Skythen. Erst später wird wieder ein König Atheas genannt; dieser rief den Philippos von Macedonien gegen die Istrier zu Hülfe u. versprach ihm ihn zum Erben seines Reiches zu machen; da er aber sein Wort nicht hielt, machte Philippos 340 v. Chr. einen Feldzug gegen ihn. Später lag Mithridates der Große, König von Pontos, mit ihnen im Kriege u. trieb sie aus der Taurischen Halbinsel. Nach der Legende soll der Apostel Andreas das Christenthum unter den Skythen gepredigt haben. Als die Römer seit den Zeiten Trajans in die von den Skythen besessenen Gegenden kamen, waren bereits die Sarmaten hier an deren Stelle getreten u. der Name S. kommt nun nur in Asien vor, s. oben. Vgl. I. Pinkerton, On the origin and progress of the Scythions or Goths, Lond. 1787; Brandstäter, Scythica, Königsb. 1837; Lindner, S. u. die Skythen des Herodot, Dorp. 1844.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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