Nothzucht

Nothzucht

Nothzucht (Notnunft, Stuprum violentum), die von einer Mannsperson mittelst wahrer Gewalt erzwungene widerrechtliche Schwächung eines ehrbaren erwachsenen Frauenzimmers (Mädchen od. Frau) wider deren ernstlichen Willen. Nach Römischem Rechte wurde eine derartige gewaltsame Schändung als Verbrechen der Vergewaltigung (Crimen vis) behandelt, u. es kam daher auch nichts darauf an, ob dasselbe von einem Frauenzimmer od. einer Mannsperson begangen worden war; die Carolina bringt die N. dagegen, im Anschluß an ältere deutsche Strafgewohnheiten, unter den Gesichtspunkt eines Raubes der weiblichen, fräulichen od. jungfräulichen Ehre. Das charakteristische Merkmal des Verbrechens bildet daher die Verletzung der Geschlechtsehre, u. dem entsprechend wird die N. von den meisten neueren Strafgesetzbüchern mit den Fleischesverbrechen (s.d.) zusammengestellt. Es erklärt sich daraus auch, daß nach deutscher Rechtsauffassung nur ein Frauenzimmer, kein Mann, u. auch nur eine ehrbare Frau, keine Hure, Gegenstand des Verbrechens sein kann, wiewohl in letzter Beziehung manche neuere Strafgesetzgebungen die gewaltsame Schändung einer Hure nur als einen Strafmilderungsgrund gelten lassen. Jedenfalls muß der Beischlaf ein widerrechtlicher sein; die Gewalt muß eine solche sein, daß die angegriffene Frauensperson mit ihren physischen Kräften nicht widerstehen konnte; vollendet wird die N. erst durch die wirkliche Vereinigung der Geschlechtstheile, nur das Braunschweigische Strafgesetzbuch erklärt das Verbrechen schon mit dem Augenblicke für vollendet, in welchem die auf Erzwingung des Beischlafes gerichtete Gewalt angewendet wurde, u. behandelt die Erreichung der wollüstigen Absicht dann nur als einen Erschwerungsgrund bei Ausmessung der Strafe. Die Einleitung einer Criminaluntersuchung soll nach Vorschrift der Carolina erst auf Antrag der Genothzüchtigten erfolgen. Als Strafe bestimmte dieselbe dem Nothzüchtiger die Strafe des Räubers, d.i. Hinrichtung mittelst des Schwertes. Die neueren Strafgesetzgebungen drohen dafür je nach Beschaffenheit der Fälle Zuchthaus bis zu 10, wenn die Genöthigte aber an ihrer Gesundheit Schaden genommen hat, auch bis zu 20 Jahren an; im Falle einer concurrirenden Tödtung kann auch auf lebenslängliches Zuchthaus, nach einzelnen Gesetzen sogar auf den Tod erkannt werden. Dieselben Strafgesetzgebungen haben mehrfach die Strafen der N. auch auf Fälle ausgedehnt, welche gemeinrechtlich nicht unter den Begriff der N. gestellt werden können, namentlich auf den Fall der sogenannten unfreiwilligen Schwächung (Stuprum nec violentum nec voluntarium), wenn eine Mannsperson ein Frauenzimmer durch arglistige Betäubung, z.B. Reichung eines Schlaftrunkes, Berauschung u. dgl. in einen Zustand der Bewußtlosigkeit versetzt u. dann während dieses Zustandes den Beischlaf mit ihr vollzieht; od. wenn der Beischlaf nur mit einer blödsinnigen, wahnsinnigen, ohnmächtigen Person vollzogen wird, ohne daß der Thäter erst selbst diesen Zustand hervorgebracht hat; od. wenn die Schändung an noch nicht mannbaren Kindern Statt fand, in welchem Falle meist die Strafandrohung nur noch eine etwas höhere, als bei der gewöhnlichen N. ist.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

Игры ⚽ Нужен реферат?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Nothzucht — (stuprum violentum), durch rechtswidrige Gewalt erzwungene Vereinigung der Geschlechtstheile; nach der Carolina (u. in England) mit dem Tode, in den meisten Staaten mit Zuchthaus bestraft …   Herders Conversations-Lexikon

  • Nothzucht, die — Die Nothzucht, plur. inus. von Noth und ziehen. 1) * Eine jede Gewalt, welche man einem andern anthut und zufüget, auch der Zwang wider dessen Willen; eine veraltete Bedeutung, welche ehedem sehr häufig war, wo nothziehen und nothzögen auch… …   Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart

  • Concurrenz der Verbrechen — (Concursus delictorum, Cumulus delictorum [verschieden von Concursus ad delictum, s.d.], Rechtsw.), ist alsdann vorhanden, wenn dem erlennenden Criminalrichter mehrere noch unbestrafte Verbrechen des nämlichen Verbrechers zur Aburtheilung in… …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Fleischliche Verbrechen — (Fleisches od. Unzuchtsverbrechen, Delicta carnis), die Verbrechen, welche durch eine strafbare Befriedigung des Geschlechtstriebes begangen werden. Im Allgemeinen läßt sich annehmen, daß dergleichen Unthaten, insofern sie nicht mit Verletzung… …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Kessel — 1. Alte Kessel machen russig. – Simrock, 5565. 2. Alte Kessel schwertzen. – Lehmann, 7, 25. 3. Alte Kessel seynd rusig. – Lehmann, 7, 25; Braun, I, 1814. 4. Am e ruessige Kessel kammer (kann man) sich nidd sufer rywe. (Strasburg.) – Firmenich, II …   Deutsches Sprichwörter-Lexikon

  • Nothklage — Nothklage, eine Klage über erlittene Gewaltthätigkeit, bes. Nothzucht …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Nöthigung — Nöthigung, der widerrechtliche Zwang eines Menschen zu einer nicht gewollten Handlung od. Lage durch physische Gewalt od. Androhung einer solchen. In privatrechtlicher Hinsicht macht eine solche N. das Geschäft nicht an sich nichtig, allein die… …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Obduction — (v. lat.), die gesetzmäßige Untersuchung eines Körperzustandes, od. auch sonst eines Stoffes, dessen Ausmittelung die Grundlage einer rechtlichen Entscheidung ist, von beglaubigten Sachverständigen u. nach gesetzlichen Formen bewirkt; kommt bes.… …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Raub — Raub, 1) (Rapina, Depraedatio, Grassatio, Robbaria, Abstrickung), nach Römischem Recht jede mit offenem Zwange ausgeführte körperliche Anmaßung einer beweglichen Sache, welche sich in fremdem Eigenthum u. nicht schon in der Detention des Thäters… …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Schänden — Schänden, 1) einer Person od. Sache Schaden zufügen; 2) körperlich verletzen, verstümmeln, verunstalten; bes. aber 3) sittlich verletzen od. beschädigen, der Ehre berauben, entehren, zur Befriedigung der Wollust mißbrauchen; daher Schändung, so v …   Pierer's Universal-Lexikon

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”