- Flechten
Flechten (Lichenes), 2. Kl. des Reichenbachschen u. des Endlicherschen Pflanzensystems; Vegetabilien, auf einer noch sehr niedrigen Stufe stehend, die keinen eigentlichen Stängel bilden, sondern eine rinden-, laub- od. strauchförmige Ausbreitung, die nur aus Zellen besteht u. in welche an verschiedenen Stellen Fruchthalter (Apothecia, Scutella) eingesenkt sind, in denen sich die Keimkörner (Sporidia), mit Saftfäden (Paraphyses) untermischt, frei od. in Schläuchen (Asci, Thecae) befinden; sie pflanzen sich durch Keimkörner u. eine Art Knospenbildung (Bruthäuschen, Soredia) fort u. wachsen meist excentrisch. Die Soredien gehen aus pflanzengrünhaltigen Zellen hervor, welche Gonidien (Gonidia) heißen u. die zweite Schicht des Gewebes bilden, die im frischen Zustande durch die farblose Oberhaut hindurchschimmert. Das Gewebe zeigt bald deutlich getrennte Schichten (Lichenes heteromallae) od. ist ganz gleichförmig (L. homomallae). Endlicher theilt sie in folgende Familien: A) Staubflechten (Coniothalami, s.d.): a) Pulverarieae, b) Calycieae; B) Ritzenflechten (Idiothalami, s.d.): a) Graphideae, b) Glyphideae, c) Limborieae, d) Pyxineae; C) Balgflechten (Gasterothalami, s.d.): a) Verrucaricae, b) Thrypetheliaceae, c) Endocarpeae, d) Sphaerophoreae; D) Hautflechten (Hymenothalami. s.d.): a) Collemaceae, b) Lecidineae; c) Parmeliaceae, d) Usneaceae. Die Gewebe bestehen entweder aus Holzfaser od. Stärke (gewöhnliche, od. nicht durch Jod blau werdend u. mit Innlin identisch), od. es tritt an die Stelle der Stärke Gummi u. leimartige Substanz. Sie wachsen meist, wo nirgends sonst eine andere Pflanze fortkommt, u. überziehen mit ihrer, auch vertrocknet sich erhaltenden Substanz kahle Felsen, altes Gemäuer u. Holzwerk, Baumstämme. dürren Boden etc. Ihre Nahrung ziehen sie aus der durch Regen, Nebel u. sonst jenen Gegenständen mitgetheilten Feuchtigkeit, od. auch aus der Luft. Häufig scheinen sie bloße braune, gelbe, graue, weißliche Flecke zu sein, doch ähneln andere F. Pflanzentheilen, bes. Blättern. Meist ist ihr eigentliches Leben im Winter, wogegen sie im Sommer vertrocknen u. zugleich für andere Gewächse, bes. Moose, den Boden bilden, indem sie auch den kahlsten Flecken, wenn sie abgestorben sind u. faulen, einige Dammerde geben. Jungen Wald- u. Fruchtbäumen werden sie als parasitische Gewächse schädlich, sind jedoch meist mehr ein Product der Verderbniß der Pflanze, als ihre Ursache. In dieser Hinsicht erhalten auch einzelne Arten (wie Parmelia parietina) den Namen Baumkrätze. Sonst erhalten sie auch ihrer Form od. Consistenz nach noch besondere Benennungen, als: Staub-, Warzen-, Schild-, Schuppen-, Blätter- (Krusten-), Leder-, nabelförmige, Becher-, Strauch-, Haarflechten, od. nach dem gewöhnlichen Standort: Stein-, Wand-, Baumflechten etc. Einige, wie die Rennthierflechten (Cenomyce rangiferina), dienen Thieren (in Deutschland Hirschen, in Schweden Schafen) zur Nahrung, manche, wie die Isländischen F. (Isländisches Moos), auch Menschen zur Nahrung u. Arznei. Aus mehreren Flechtenarten gewinnt man Farbstoffe (s.d.), aus Lecanora parella, L. tartarea, Variolaria dealbata, Roccella Montagnei, R. tinctoria u. Gyrophora pustulata, ferner den Lackmus, bes. aus Lecanora tartarea. Manche Flechtenarten enthalten schwache organische Säuren, Flechtensäuren; die wichtigsten sind: die [339] Orseillesäure (s.d.) in der Roccella tinctoria, Erythreïnsäure (s.d.) in der Roccella Montagnei, die Gyrophorsäure (s.d.) in Gyrophora pustulata u. Lecanora tartarea, die Evernsäure (s.d.) in Evernia prunastri, Usninsäure (s.d.) in Usnea florida, Parmelia sarmentosa u. Cladonia rangeferina, Chrysophansäure (s.d.) in Parmelia parientina. F. kommen auch versteinert vor, doch sind auch Netzkorallen u.a. dafür ausgegeben worden.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.