Philanthropinismus

Philanthropinismus

Philanthropinismus, Erziehungssystem, welches eine der Natur u. der Bestimmung des Menschen angemessene Lehr- u. Erziehungsweise zu erstreben suchte u. als Gegensatz gegen die Schule der Humanisten (s. u. Humaniora) auftrat. Die Ideen, welche bereits bei Locke u. Rousseau vorkommen, bildeten gegen Ende des 18. Jahrh. Basedow u. dessen Anhänger Campe, Iselin, Salzmann, Trapp, Wolke mehr aus. P. ist diese Erziehungsweise genannt, weil ihre Anhänger die Menschenliebe als die Tendenz aller Erziehung betrachteten u. sich daher Philanthropisten nannten. Basedow drang, indem er alles Naturwidrige u. Mechanische in der Erziehung wie im Unterricht verwarf, auf eine naturgemäße, freie Entwickelung des Kindes, so daß dasselbe durch stufenweise, sinnliche Anschauungen zu dem eigentlichen Lernen übergehe. Zugleich suchte er auch den Körper durch gymnastische Übungen, durch Abschaffung düsterer Schulstuben, ungesunder Kleidung u. dgl. physisch zu kräftigen. Dazu legte er 1774 in Dessau, unterstützt vom Herzog Franz, eine Pflanz- u. Musterschule (Philanthropin) an, welche sich zwar schon 1793 wieder auflöste, jedoch mehre ähnliche Institute hervorrief, welche sich indeß auch nicht lange hielten, wie in Marschlins, gestiftet von Salis, in Heidesheim, Colmar, Trittow unter Trapp u. m. a. Das bedeutendste war Salzmanns Erziehungsanstalt in Schnepfenthal (s.d.). Obschon der P. in Spielereien beim Unterricht verfiel u. ein seichtes Vielwissen begünstigte, so trug er doch viel zur Abstellung verjährter Mißbräuche, bes. in Landschulen, bei verdrängte die sinnlosen Gedächtnißübungen, machte aus den finstern, schmutzigen u. ungesunden Schulstuben heitere Lehrzimmer, verbannte großentheils den Stock u. verwandelte die Lehrer in Erzieher, welche die Kräfte der Kinder gleichmäßig zu entwickeln suchten. Später schritten Rochown. Pestalozzi (s. b.) auf der Bahn des P. fort. Hauptwerk über den P.: Campes Revisionswerk (s.d.) u. die Schriften der genannten Philanthropisten; Niethammer, Streit des P. u. Humanismus, Jena 1808. Von der positiven religiösen Richtung der Gegenwart wurde der P. bekämpft, weil er das Christenthum, wie man ihm vorwarf, verflachte.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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