- Sein [1]
Sein (Seyn), ist der einfachste Begriff, welcher sich eben deshalb nicht deutlich, sondern nur klar machen läßt. Er bezeichnet im allgemeinen jede Setzung, d.h. eine Bejahung im Denken. Er ist daher a) Zeichen der logischen Copula im Urtheile u. bezeichnet in der Form: A ist B od. A ist nicht B, die Beziehung u. Gleichsetzung od. Nichtbeziehung u. Nichtgleichsetzung zwischen dem Subject u. dem Prädicat. In diesem Sinne kommt das Wort auch als Hülfszeitwort in manchen Sprachen vor; b) bezeichnet er die von dem Vorstellen unabhängige Wirklichkeit, die Existenz dessen, wovon er als Prädicat ausgesagt wird; das, was ist, macht darauf Anspruch, eben kraft seiner Existenz, mehr zu sein als ein blos Vorgestelltes u. Gedachtes; daher die Ausdrücke ideales (logisches) u. reales S. Was daher in der inneren u. äußeren Erfahrung sich als ein von der Vorstellung Unabhängiges, dieselbe vielmehr Bestimmendes u. Bedingendes darstellt, wird in der gemeinen Auffassung für ein Seiendes erklärt (empirisches, räumliches, zeitliches S.). Hierbei macht sich, wenn auch unbewußt, die wichtige Bestimmung geltend, daß das S. nur die Art bezeichnet, wie etwas vorgestellt wird u. somit an sich ein ganz leerer Begriff ist; daß vielmehr das, was ist (das Seiende), Etwas sein müsse, worin die Unterscheidung der Existenz u. das Was des Wesens (Essentia) liegt. Sobald nun eine schärfere Reflexion bemerkt, daß alle Gegenstände der Erfahrung nicht nur entstehen u. vergehen, sondern auch rücksichtlich dessen, was sie zu sein vorgeben, von Verhältnissen u. Bedingungen abhängen, mit deren Veränderung sie sich selbst verändern (relatives S.), fängt die Einsicht, daß alles empirisch gegebene Seiende nur Erscheinung sei, sammt der Thatsache der Veränderung, des Werdens u. Wechselns dieser Erscheinungen, an die unbefangene Auffassung der Welt zu zerstören; es entsteht die Frage nach dem wahrhaft Seienden, dem Absoluten, dem, was nicht selbst erscheint, aber den Erscheinungen zu Grunde liegt, u. die Geschichte der Versuche diese Frage zu beantworten u. die Art, wie das wahrhaft Seiende (das S. im metaphysischen Sinne) die Erscheinungen bedingt, näher zu bestimmen, ist im Wesentlichen die Geschichte der Metaphysik, s.d.u. Philosophie.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.