Genealŏgie

Genealŏgie

Genealŏgie (v. gr.), die Wissenschaft vom Ursprung, der. Folge u. Verwandtschaft vornehmer Geschlechter. Im theoretischen Theile der G. werden die Grundsätze dieser Wissenschaft, im praktischen die Geschlechter selbst dargestellt. Die G. stellt diese bildlich (in Stammbäumen, Geschlechtstafeln) dar, wobei die Haupt-, Neben- u. Seitenlinien, die auf- u. absteigende Geschlechtsfolge, die ausgestorbenen u. fortdauernden Linien, u. diese dann auch nach ihrer verschiedenen Rangordnung (als königliche, fürstliche, gräfliche etc.), unterschieden werden. Solche Geschlechtsregister haben nicht nur Interesse für einzelne Familien, wo nach Ahnen gezählt wird, sondern auch für Geschichtsforscher, da man aus ihnen die einzelnen Data in Familien- od. Regentengeschichten, bei Erb- u. Successionsstreitigkeiten etc. erörtern kann; vorzüglich wichtig sind sie in rechtlicher Hinsicht, indem sie die Ansprüche einer Person auf den Besitz von Etwas nach der Nähe der Verwandtschaft herausstellen. Personen, die von einem gemeinschaftlichen Stammvater stammen, bilden ein Geschlecht, u. sind in näherem od. fernerem Grade mit diesem verwandt, je nachdem weniger od. mehr Glieder zwischen dem Stammvater u. der abstammenden Person stehen. Eine Reihe mehrer, von einem gemeinschaftlichen Ahnherrn stammender Personen heißt eine Linie; diese ist gerade od. Seitenlinie. a) Die gerade Linie (Linea recta) zerfällt in die aufsteigende u. absteigende. Die Glieder der aufsteigenden Linie heißen bis ins 7. Glied: Pater (Vater), Avus (Großvater), Proavus (Urgroßvater), Abavus (Ururgroßvater), Atavus, Tritavus, Protritavus; der absteigenden Linie: Filius (Sohn), Nepos (Enkel), Pronepos (Urenkel), Abnepos, Atnepos, Trinepos, Protrinepos; die übrigen Vorfahren heißen Majores (Ahnen), die Nachkommen Posteri. Die Söhne bilden die männliche Linie, die Töchter die weibliche Linie. b) Die Seitenlinie (Linea obliqua s. collateralis) befaßt die Seitenverwandten, welche nicht von einander, wohl aber von einem gemeinschaftlichen Stammvater abstammen. Sie ist aa) ungleich (Linea inaequalis). wenn die eine um einen od. mehrere Grade dem [140] Stammvater näher steht, u. bb) im entgegengesetzten Fall gleich (L. aequalis). Die väterlichen Seitenverwandten heißen Schwertmagen (Agnati), die mütterlichen Spillmagen (Cognati). Zur Versinnlichung der Abstammung u. Verwandtschaft dienen Genealogische Tafeln. Die Geschlechts- od. Stammtafel beginnt von dem Stammvater u. stellt alle Personen, männlichen u. weiblichen Geschlechts, auch die Seitenlinie u. absteigende Linie dar. Die Ahnentafel soll die Abstammung einer Person in aufsteigender Linie, sowohl von väterlicher als mütterlicher Seite, darstellen, s.u. Ahnen. Beide Arten von Tafeln werden oft in Form von Bäumen dargestellt (Stammbäume, Stemmata), wo im ersten Fall der Stammvater den Stamm des Baumes, die Abkömmlinge die Zweige, im zweiten aber die Person, deren Adel erwiesen werden soll, das unterste Glied bildet.

Die älteste G. ist die Götterlehre u. Heldenfabel, sowie wiederum die älteste (mythische) Geschichte der meisten Völker genealogisch ist; denn sie leiteten die Volks- u. Ländernamen gewöhnlich von einem Gott, Heros, König od. Anführer als ihrem Stifter u. Urheber ab, ja das Menschengeschlecht selbst fängt nach der hebräischen Sage mit Einem Stammvater an. Die Israeliten hatten von der frühesten Zeit an Geschlechtsregister u. hielten einige Leute (Schoterim), welchen die Besorgung der Geschlechtstafeln aufgetragen war. Die Verfassung mancher Staaten u. die Ungleichheit ihrer Bürger, wodurch Edle (Nobiles, Notables) u. Gemeine (Ignobiles, Leute), als Stände od. Kasten, unterschieden wurden u. jene besondere erbliche Vorrechte (Staatsrechte) erlangten, z.B. Stimmrecht auf Landtagen etc., veranlaßte eine sorgfältigere Behandlung der G., die im Mittelalter durch andere damit in Verbindung stehende Anstalten (z. B. Turniere) befördert wurde. Um diese Zeit traten daher auch die ersten genealogischen Schriftsteller auf, u. das 15. Jahrh. ist bes. reich an solchen. Da damals die Geschichte noch fast aller Kritik ermangelte, so brachte man, um den Großen zu schmeicheln, eine Menge Fabeln in die G. u. führte Geschlechter oft bis auf Äneas, Achilles od. irgend einen andern Helden des Trojanischen Kriegs zurück (wie man dies schon bei den Römern gethan hatte), u. so entstand u.a. Rüxners deshalb berüchtigtes Turnierbuch, Simmern 1527. Kein Geschlecht kann seine Ahnen weiter als ins 11. Jahrh. zurückführen, weil erst nach dem die Geschlechtsnamen entstanden sind. Im Anfang des 16. Jahrh. brachte Irenikus in seiner deutschen Geschichte u. Pappenheim in seiner Geschichte des Hauses Pappenheim einigermaßen gesundere Ansichten in die G., die aber noch immer mit mythischem Wust u. leeren Conjecturen überladen waren. An diesen Gebrechen litten noch H. Hennings u. E. Reusners Arbeiten, gegen Ende des 16. Jahrh. Erst die Franzosen, du Chesne, S.u. L. du St. Marthe, Hozier, Chifflet, Laboureur, Lancelot le Blond brachten Licht in die G., ebenso Dugdale in England. In Deutschland vereinten nach der Mitte des 17. Jahrh. Rittershusius u. Spener, stets auf urkundliche Beweisführung dringend, die Heraldik mit der G. Im 18. u. 19. folgten König, v. Imhof, Hübner, Gebhardi, Hörschelmann, Ichteritz, Ranft, Eckhardt, Treuer, v. Schliessen, v. Hormayer auf dem betretenen Wege u. leisteten bes. in Aufhellung der G. fürstlicher Häuser Vorzügliches. Auch in England thaten Douglas, Betham, Gordon Gleiches. Nicht ohne Wichtigkeit waren die genealogischen Almanache u. Handbücher, zu denen der Gothaer genealogische Hofkalender seit 1763 den meisten Impuls gab. Seit 1827 kommt in Gotha auch das Genealogische Taschenbuch der Gräflichen Häuser heraus (wozu 1855 das Historisch-heraldische Handbuch erschien) u. seit 1848 das Genealogische Taschenbuch der Freiherrlichen Häuser. Vgl. Gatterer, Abric der G., Gött. 1788; Pütter, Tabulae genealogicae, Gött. 1768, 6 Lief.; Koch, Tables généalogiques des maisons souveraines d'Europe, deutsch, Berlin 1808; Hübner, Genealogische Tabelle, Lpz. 1725–33, 4 Bde., u. Aufl. 1737–66; dazu Erläuterungen von Lenz, Lpz. 1756, u. Supplementtafel, Kopenh. 1822–24, 6 Lief.; Voigtel, Genealogische Tabellen, Halle 1810; Örtel, Genealogische Tafeln zur Staatengeschichte des 19. Jahrh., Lpz. 1845, mit 10 Nachtr. 1847–56, 2. Aufl. 1857.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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