- Mora [1]
Mora (lat.), 1) Verzug, Verzögerung, Dauer; bes. 2) die widerrechtliche Verzögerung einer Leistung, zu welcher Jemand verpflichtet ist. Sie setzt a) auf Seite des Schuldners (M. solvendi) eine fällige Schuld voraus, deren Nichterfüllung lediglich an dem Schuldner lag, so wie daß der Gläubiger entschieden seinen Willen, die Leistung erhalten zu wollen, durch Aufforderung des Schuldners (Interpellation, Mahnung) erklärt hat. Die Mahnung muß an die rechte Person u. zu der Zeit geschehen sein, wo die Leistung unmittelbar erwartet u. gefordert werden konnte, so daß durch eine vorzeitige Mahnung keine M. begründet wird. Doch gibt es auch Fälle, in denen die M. ohne Interpellation eintritt u. die Folgen derselben unmittelbar kraft gesetzlicher Vorschrift angenommen werden (M. ex re; Lex interpellat pro homine). Dies ist der Fall, wenn die Interpellation durch Abwesenheit des Schuldners unmöglich wurde, bei dem verurtheilten Schuldner mit dem Ablauf der gesetzlich zur Bezahlung des Judicats eingeräumten Frist u. bei dem Dieb, der von Zeit des erlangten Besitzes an als in mora befindlich betrachtet wird (Jus semper in mora est); außerdem haben gewisse Gläubiger, wie Minderjährige, der Fiscus, Kirchen etc. das Vorrecht der M. ohne Interpellation, auch wird nach gemeiner Praxis angenommen, daß die Vorausbestimmung eines Zahlungstermins die Mahnung nach Eintritt desselben ersetzt (Dies interpellat pro homine). b) Auf Seiten des Gläubigers[443] entsteht die M. dadurch, daß derselbe den Empfang einer schuldigen Leistung verweigert od. sonst verhindert, während die Leistung ihm doch vom Schuldner so angeboten wurde, wie er sie allein zu fordern berechtigt war (M. accipiendi). Die Wirkungen der M. solvendi sind, daß die Obligation perpetuirt wird, d.h. daß der säumige Schuldner nicht mehr durch die zufällig eintretende Unmöglichkeit der Leistung befreit wird; ferner daß der Schuldner zur Schadloshaltung, insonderheit zu Verzugszinsen (Usurae morae) verpflichtet wird u. gehalten ist, bei Leistung des Werthes der Sache den höchsten Werth zu prästiren, welchen die Sache während der Dauer der M. hatte. Die M. accipiendi äußert ihre Wirkung besonders darin, daß der Schuldner durch jede Unmöglichkeit der Leistung, welche ohne seine böse Absicht od. ohne grobes Versehen von seiner Seite eintritt, von der Verpflichtung zur Leistung überhaupt befreit wird, Eine Aufhebung der Folgen der M. (Purgatio morae) tritt dadurch ein, daß der Säumige sich zu dem früher Versäumten bereit erklärt; doch wird dabei vorausgesetzt, daß die Bereitschaft sich auch auf dasjenige erstrecke, was der Säumige dem andern Theil in Folge des bisherigen Verzugs zu leisten verbunden ist. 3) Pause; 4) in der Prosodik ein Zeittheilchen; auf einen kurzen Vocal wird 1 M. gerechnet, auf einen langen 2 Moren.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.