- Antinomismus
Antinomismus (v. gr., Streit gegen das Gesetz), die Meinung, daß die Befolgung des jüdischen Gesetzes u. der Glaube an seine Strafen für den Christen nicht nothwendig sei. 1) Schon zu Augustins Zeiten gab es Anhänger dieser Lehre (Antinŏmer, Antinomisten, Gesetzesstürmer). Namentlich heißen so 2) die Anhänger Joh. Agricolas in Eisleben (daher auch Isleber genannt). Dieser behauptete gegen Melanchthon (welcher in der Instruction über die Kirchenvisitation 1527 die Prediger ermuntert hatte, den gehörigen Gebrauch vom Gesetz zu machen, da dies bes. das Volk zur Buße erwecke, weil es die Strafe der Sünde u. die Gerechtigkeit Gottes lebendig vergegenwärtige) den A. u. betrachtete nur das Evangelium als Erweckungsmittel zur Buße. Kurfürst Johann der Beständige veranstaltete 1527 ein Colloquium deshalb in Torgau, Luther war Richter, Agricola wurde widerlegt u. mußte schweigen. Als Agricola nach Wittenberg kam, erneuerte er 1537 in einer Disputation seine Behauptung, wurde aber von Luther widerlegt u. 1540 zum Widerruf genöthigt. Indeß endigte erst sein 1566 erfolgter Tod den Antinomistischen Streit ganz. Nitzsch, De antinomismo Agricolae. Wittenb. 1804; Elwert, De antinomia Agr., Zür. 1836. 3) Im Majoristischen Streite nannte Major seine Gegner Antinomisten, weil sie behaupteten, daß das Gesetz zur Seligkeit nicht nothwendig, ja überflüssig sei. Man vereinigte sich endlich dahin, daß das Gesetz einen Usus paedagogicus habe, indem es den Menschen wegen seiner Sünden ängstige u. zu Christo führe; einen Usus politicus aber, weil der Mensch durch die Furcht vor den Drohungen von dem Bösen abgehalten werde. Über den Usus didacticus konnte man sich nicht einigen. 4) Der 1511 ausgebrochene Antinomistische Streit Wigands gegen P. Crell u. Pezel war mehr ein Wortstreit. 5) In England entstand unter Cromwell durch Joh. Eaton eine Antinomistische Secte, welche das jüdische Gesetz als zur Seligkeit des Menschen entbehrlich verwarf (weil durch die Erlösung die Verantwortlichkeit vor demselben aufgehoben sei), dem Prädestinatianismus huldigte u. sich gegen das Ende des 17. Jahrh. auflöste. Ihre Ansichten theilen die Antinomian-Baptists, s. u. Baptisten.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.