Criminalgerichtsbarkeit

Criminalgerichtsbarkeit

Criminalgerichtsbarkeit (Criminaljurisdiction, Peinliche Gerichtsbarkeit), das aus der allgemeinen Justizhoheit hervorgehende Recht, begangene Verbrechen u. Vergehen zu untersuchen u. zu bestrafen. Die Bezeichnungen für die C. sind in, der früheren Zeit sehr verschieden: Acht, Achtgericht, Blutbann, Blutgericht, Blutige Hand, Ferchbann, Fraiß, Hohe Fraiß, Gericht über Hals u. Hand od. über Haut u. Haar, Halsgericht, Hohe Gerichte, Hohe Cent, Königsbann, Malizrecht, Schwertrecht etc. Ebenso mannigfaltig waren aber auch die Eintheilungen der C., indem die C. als ein Object der Verleihung in sehr verschiedenem Umfange übertragen wurde. Darauf bezieht sich die früher sich findende Eintheilung in Ober- u. Erbgerichte, von denen die letzteren nur die geringeren Straffälle umfaßten, das Vorkommen von Brüchen- u. Rügegerichten neben den ordentlichen Criminalgerichten, Zaun- u. Pfahlgerichten, deren Gerichtsbarkeit nur auf kleinere eximirte Orte des Bezirkes beschränkt war. Alle diese Bezeichnungen u. Eintheilungen sind indessen jetzt fast überall veraltet, seitdem in Verbindung mit den neueren Strafproceßordnungen in fast allen Staaten für die Ausübung der C. neue Gerichtsorganisationen (s. u. Criminalgericht) eingeführt worden sind. Ausgehend von dem Grundsatze, daß nach dem Begriffe des Staates u. der Staatsgewalt alle Justizhoheit nur dem Souverain zukomme u. demnach auch nur von diesem alle C. auszugehen habe, ist man hierbei namentlich auch zur Aufhebung aller sogenannten Patrimonial-C. gelangt, nach welcher die C. vielfach, gleich der Civilgerichtsbarkeit, mit dem Besitze eines Grundstücks, z.B. eines Rittergutes (Jurisdictio realis s. praediatoria) verbunden od. auch einer moralischen Person, z.B. einer Stadtgemeinde, einem Flecken (Jurisdictio criminalis personalis) verliehen war. Alle C. ist hiernach heutzutage regelmäßig nur sogenannte Amtsgerichtsbarkeit (Jurisd. crim. officialis s. administratoria), d.h. sie wird im Namen u. Auftrag des Souverains als Gerichtsinhabers durch, von ihm bestellte Beamte ausgeübt. Sie wird als eine a) ordentliche (Jurisd. ordinaria) bezeichnet, wenn sie, wie dies regelmäßig der Fall ist, von verfassungsmäßig im Voraus nach Gebiet u. Zuständigkeit geordneten Behörden ausgeübt wird; u. b) als eine außerordentliche (Jurisd. extraordinaria, delegata), wenn sie nur für einzelne Fälle durch besonderen Auftrag (Commissio, Delegatio) angeordnet ist. Die Ernennung zu solchen außerordentlichen Commissionen kann theils nur für einen besonderen Criminalfall, theils für eine gewisse Gattung von Criminalfällen, nur auf eine gewisse Zeit (ad tempus) od. auch auf immer (Commissio perpetua, natürlich vorbehältlich des Widerrufs) erfolgen. Sie tritt z.B. regelmäßig in Verbindung mit dem Belagerungszustand (s.d.) wegen der alsdann nöthig werdenden größeren Strenge u. schnelleren Execution der Urtheile, ebenso aber auch schon da ein, wo z.B. wegen Nähe der Verwandtschaft des Richters mit dem Angeschuldigten die Unparteilichkeit gefährdet erscheint. Weil aber derartige Commissionen auch wohl dazu benutzt werden könnten, um die richterliche Unabhängigkeit zu untergraben u. den Staatsbürger der Gefahr regierungsbeeinflußter Urtheile Preis zu geben, haben die neueren Verfassungsurkunden in der Regel in Verbindung mit dem Grundsatz, daß Niemand seinem ordentlichen Richter entzogen werden dürfe, auch den Satz aufgenommen, daß außerordentliche Criminalcommissionen außer den im Proceßgange begründeten od. sonst durch Gesetz vorgesehenen Fällen nicht eingeführt werden dürfen. Die näheren Regeln über diese Ausnahmsfälle geben die Proceß- u. Competenzgesetze an die Hand. Wo die Criminalsache doch wegen Unfähigkeit des ordentlichen Richters od., weil derselbe sonst verhindert ist, einem andern an sich nicht competenten Richter übertragen werden muß, ist gewöhnlich nicht der Regierung, sondern den Obergerichten die Bestimmung überlassen, welches Gericht an Stelle des ordentlichen Richters einzutreten hat. Der C. entspricht auf Seite der ihm Untergebenen der Criminalgerichtszwang, d.h. die Pflicht der Unterthanen vor dem Criminalgericht zu erscheinen u. zu Recht sich zu verantworten.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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