Gefangenbefreiung

Gefangenbefreiung

Gefangenbefreiung (Crimen effracti carceris), die eigenmächtige, unbefugte Erlösung eines Arrestanten aus dem Gewahrsam, in welchem er sich kraft obrigkeitlichen Befehles befindet. Geschah die G. a) durch den Gefangenen selbst, (Selbstbefreiung, Evasio e carcere) u. zwar aa) aus einem Sicherheitsgefängniß während des Strafverfahrens, so drohte das Römische Recht, (welches in dieser Hinsicht zugleich als das Gemeine zu betrachten ist), wenn die Befreiung mittelst gewaltsamen Ausbruchs od. durch ein Complott erfolgt war, die Todes-, ohne dergleichen erschwerende Umstände aber willkürliche geringere Strafen an; war aber bb) der Gefangene aus einer Strafanstalt entflohen, so soll der Rest der zu erleidenden Strafe nach richterlichem Ermessen in einem härteren Grad angewendet werden. Erfolgt dagegen b) die G. durch die Schuld des bestellten öffentlichen Gefängnißaufsehers, sei es, daß derselbe dem Gefangenen absichtlich den Weg öffnete od. ihm durch Nachlässigkeit die Gelegenheit zum Entfliehen gab, so fällt diese unter die Kategorie der Amtsverbrechen (s.d.), od. begründet bei geringerem Grade der Verschuldung, ein Disciplinarvergehen (s.u. Disciplin). c) G. endlich, welche durch einen Dritten bewirkt wurde, fällt meist unter den Begriff einer Beihülfe od. Begünstigung der Selbstbefreiung, od. sie geht auch wohl, sei es nach der dabei verfolgten Absicht, z.B. wenn sie in hochverrätherischer Absicht erfolgte, sei es wegen der dabei angewendeten Mittel, z.B. bei Tödtung der Gefangenwärter, in andere specielle Verbrechen über, od. sie erscheint auch als ein selbständiges Verbrechen der Gewaltthätigkeit (Crimen vis, s.d.), welches willkürliche Strafe nach sich zieht. Nach den neueren Strafgesetzgebungen ist die Selbstbefreiung regelmäßig ganz straflos, wenn nicht ein anderes Verbrechen, wie Bestechung, Gewaltthätigkeit od. Meuterei damit concurrirt. Natürlich sind aber damit disciplinare Ahndungen (Entziehung warmer Kost etc.) u. verstärkte Sicherungsmaßregeln (Anlegung von Fesseln etc.) nicht ausgeschlossen. Dagegen wird die eigenmächtige Befreiung des Gefangenen durch einen Dritten[42] jetzt allgemein als ein eigenes Verbrechen aufgestellt. Bei der Bestimmung der Strafe nehmen die neueren Strafgesetzbücher dann entweder auf den Grund der Gefangenschaft od. auf die Art der Ausführung od. auf Beides zugleich Rücksicht. So straft das Österreichische Gesetzbuch die Befreiung eines Hochverräthers mit 5–10 Jahren schwerem Kerker, die Befreiung anderer Gefangenen nur mit Kerker von 1/2 – 1 Jahr; das Baierische Strafgesetzbuch die Befreiung eines Capitalverbrechers mit 4–6 Jahren Arbeitshaus, eines Zuchthausverbrechers mit 1–4 Jahren, sonst nur mit Gefängniß. Das königlich Sächsische Gesetzbuch straft Befreiung mit Gewalt mit 1/2 –2jährigem Gefängniß od. Arbeitshaus, das Thüringische bis zwei Jahr Gefängniß; das Hannoversche mit 1–6 Jahre Zuchthaus, das Großherzoglich Hessische bis 3 Jahre Corrections- od. 4 Jahre Zuchthaus, das Badensche mit Gefängniß von 14 Tagen bis 2 Jahre Arbeitshaus u. bei einer Mehrheit von Gefangenen od. einer besonders gefährlichen Person bis 3 Jahre Arbeitshaus; Befreiung ohne Gewalt wird dagegen in diesen Gesetzbüchern mit Gefängniß od. Arbeitshaus bis 1 Jahr bestraft. Als Straferhöhungsgründe gelten, wenn sich Wächter dabei betheiligen od. die Verübung anderer schwerer Verbrechen damit verbunden wird. Andere Strafgesetzgebungen, wie z.B. die Württembergische, behandeln die G. durch Wächter noch jetzt als ein besonderes Amtsverbrechen. Einen besondern Strafmilderungsgrund finden dagegen manche Strafgesetzbücher (z. B. das Badensche u. Hessische) darin, daß der Befreiende der Ehegatte od. sonst ein naher Verwandter des Befreiten war, od. daß die Hast nur wegen Schulden verhängt war. In letzterem Falle kann der eigenmächtig den Gefangenen Befreiende unter Umständen wohl auch civilrechtlich zum Schadenersatz verpflichtet werden.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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