- Proceß
Proceß (v. lat. Processus), 1) der Gang der Entwickelung einer Sache überhaupt; bes. 2) das gerichtliche Verfahren zum Zwecke der Aufhebung einer stattgehabten Rechtsverletzung, u. 3) der Inbegriff der Rechtsgrundsätze, welche in Beziehung auf dieses Verfahren zur Anwendung kommen. Die Nothwendigkeit des Processes in dieser letzten Beziehung ergibt sich daraus, daß in einem geordneten Staatswesen die eigenmächtige Wiederherstellung des verletzten Rechtes wegen der darin liegenden Gefahr für die persönliche Freiheit u. den öffentlichen Frieden nicht gestattet werden kann. An Stelle der Privatgewalt hat daher die über der Willkür der Parteien stehende Macht des Staates zu treten, um vermöge der ihr obliegenden Sorge für die Aufrechterhaltung der Rechtsordnung dem gestörten Rechte seine Geltung zu verschaffen. Diese Aufgabe erfüllt der Staat durch die bestellten Gerichte; die Regeln aber, nach denen die Gerichte bei Vollziehung dieser Aufgabe zu verfahren haben, bilden den P. Nach Verschiedenheit der streitigen Justizsachen ist der P. entweder Civil- (bürgerlicher) P., welcher es mit der Verfolgung verletzter Privatrechte, wobei es sich um Mein u. Dein handelt, zu thun hat; od. Criminal- (Straf-) P., welcher sich auf die Untersuchung u. Bestrafung der mit einer öffentlichen Strafe bedrohten Vergehen u. Verbrechen bezieht, s. Civilproceß u. Criminalproceß. Nur eine Unterart des Civilprocesses bildet der Concursproceß (s.d.). Der sogenannte Consistorialproceß begreift die besonderen Grundsätze, welche bei den Rechtsstreitigkeiten, soweit sie vor den Consistorien geführt werden (Ehesachen, Streitigkeiten über kirchliche Gerechtsame etc.), zur Anwendung kommen. In ähnlicher Weise unterscheidet man wohl auch einen Lehnsproceß als den Inbegriff der Rechtsregeln über das processualische Verfahren vor den Lehnshöfen; Kriegsproceß als den Inbegriff der Rechtsregeln über das Verfahren vor den Kriegsgerichten etc. Insofern auch die Verwaltungsbehörden bei Besorgung der ihnen übertragenen Geschäfte gewisse Formen beobachten, spricht man wohl auch von einem Verwaltungsproceß; 4) der Vorgang bei der Bildung organischer Theile, vgl. Bildung 2); 5) (Anat.), Fortsatz eines Knochens, s. Fortsatz 2); so Processus alveolaris, s. u. Gesichtsknochen A) b) cc); P. coronoideus, s. Kronfortsatz; P. et facies orbitales, so v.w. Augenfortsätze, s. u. Auge 1) B); P. frontalis, s. u. Gesichtsknochen C); P. hamatus (unciformis), s. u. Handknochen A) h); P. malaris, s. u. Gesichtsknochen A) b) bb); P. nasalis, so v.w. Nasenfortsätze; P. palatinus, s. u. Gesichtsknochen A) b) dd).
Pierer's Lexicon. 1857–1865.