- Revolution
Revolution (v. lat., Umwälzung), 1) jedes den bestehenden Zustand gewaltsam erschütternde u. umgestaltende Ereigniß; so bezeichnet man z.B. die gewaltsamen Umbildungen der Erdoberfläche durch vulkanische od. neptunische Kräfte als geologische R-en; ebenso nennt man unerwartete u. tiefgreifende Umwandlungen wissenschaftlicher Ansichten, überlieferter Glaubensformen, gewohnter Sitten wissenschaftliche, religiöse, gesellige R-en; bes. 2) die gewaltsame Veränderung u. Umgestaltung politischer u. socialer Einrichtungen. An R-en dieser Art, welche den bestehenden Rechtszustand u. die bisherige Ordnung des politischen Lebens gewaltsam unterbrechen, ist die Geschichte überaus reich; sie bezeichnen häufig die großen Wendepunkte in der Geschichte der Völker, in denen allgemein verbreitete, lange zurückgedrängte Bedürfnisse politischer Reformen, bisweilen auch durch heftigen Druck angesammelte u. aufgestachelte Leidenschaften sich Luft machen. Die Ursachen einer R. sind daher immer individuell, ebenso wie ihr Verlauf u. die Art ihrer Wirkungen sehr verschiedenartig ist. Die gewaltsame Unterbrechung des Rechtszustandes, welche eine politische Umwälzung zur R. macht, kann eben sowohl von den Beherrschenden, als von den Beherrschten ausgehen, u. darnach unterscheidet man R-en von oben u. von unten; im ersteren Falle nimmt sie oft die Gestalt eines Staatsstreichs (Coup d'état) an; beschränkt sie sich auf die höchsten Spitzen des Staates, so daß sie in der Entthronung od. Ermordung des Herrschers sich vollendet, ohne in die Zu[90] stände u. Rechtsverhältnisse des Volkes sonderlich tief einzugreifen (ein Fall, welcher in despotisch regierten Staaten nicht selten vorgekommen ist), so nennt man sie eine Palastrevolution. Wo eine R. aus der ganzen Masse des Volkes gleichsam aufgährt u. tief in die socialen u. rechtlichen Verhältnisse ganzer Klassen desselben eingreift, regt sie unvermeidlich eine Masse heftiger u. unedler Leidenschaften auf; sie geht daher häufig weiter, als ihre ursprüngliche Führer beabsichtigt hatten, u. diese werden nicht selten ihre Opfer; auch bleibt bei ihnen selten der Rückschlag der Reaction (s.d.) aus, welche bisweilen die Gestalt einer Contrerevolution, d.h. der Aufhebung der Wirkungen einer R. durch gewaltsame Wiederherstellung der alten Zustände, annimmt. R-en haben daher nur in den wenigsten Fällen zur Freiheit, sondern bei weitem öfter zu einer andern Form der Gewaltherrschaft geführt. Die beiden wichtigsten u. folgereichsten R-en der neueren Zeit waren die Englische im 17. u. die Französische am Ende des 18. Jahrh. Namentlich die letztere ist, abgesehen von ihren unmittelbaren Folgen für Frankreich u. die europäische Geschichte der nächsten Decennien, für die ganze civilisirte Welt von unermeßlichen Wirkungen gewesen; sie bezeichnet den Ausbruch des Kampfes zwischen einer gänzlich veränderten Auffassung der politischen u. gesellschaftliche u. Ordnungen u. den in das Staatsleben verflochtenen Vermächtnissen der Vergangenheit, welcher in den verschiedensten Formen bald still fortarbeitend, bald in gewaltsame Zuckungen ausbrechend noch jetzt nicht beendigt ist. Man hat daher die Periode seit der Mitte des vorigen Jahrh. vorzugsweise das Zeitalter der R. genannt, indem es beinahe keinen Staat in Europa gibt, welcher nicht seit jener Zeit genöthigt gewesen wäre, durch Reformen dem Ausbruche von R-en vorzubeugen od. von der letzteren in höherem od. geringerem Grade berührt worden wäre. Die Geschichte der verschiedenen R-n s. unter der Geschichte der Länder u. vgl. v. Koch, Tableau des révolutions de l'Europe dans le moyen âge, Strasb. 1790, 3 Bde.; Ders., Tableau des révolutions de l'Europe depuis bouleversement de l'empire romain en Occident jusqu' à nos jours, Par. 1813, 4 Bde.; W. Wachsmuth, Geschichte des Zeitalters der R., Lpz. 1846–48, 4 Bde.; 3) so v.w. Rotation der. Himmelskörper; 4) der der Entwickelung (Evolution) des Körpers entgegengesetzte Zustand des von der Höhe seiner Entwickelung zurückschreitenden Lebens; 5) im Bostonspiel 11 u. mehr Stiche, s. Boston.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.