Reaction

Reaction

Reaction (v. lat.), 1) so v.w. Gegenbewegung, Gegendruck, Gegenwirkung, d.h. eine rückwirkende Thätigkeit, welche überall stattfindet, wo entgegengesetzte Kräfte einander entgegen wirken u. sich ins Gleichgewicht zu setzen suchen. 2) Die Erscheinung, daß flüssige Körper, bes. Wasser u. Dämpfe in einem Gefäße eingeschlossen, wenn ihnen auf der einen Seite ein Abfluß gestattet wird, auf der entgegengesetzten Seite ein Übergewicht bekommen, wodurch das Gefäß, wenn dessen Fußboden im Verhältniß zum obern Umfang klein ist, umfällt, od. wenn sich[865] das Gefäß um eine Welle drehen kann, es um diese in rotirende Bewegung versetzt wird. Die Ursache davon liegt darin, daß anfangs die Flüssigkeit nach allen Seiten des Gefäßes mit gleicher Kraft drückt, öffnet man aber auf der einen Seite ein Loch, so hört auf dieser Seite, wo die Flüssigkeit herausströmen kann, der Druck auf u. dauert nur auf der entgegengesetzten Seite fort. Auf diese Erscheinung gründet sich die Einrichtung des von Segner erfundnen Reactionsrades (Reactionsmaschine, Rückwirkungsrad, Segners Wasserrad). Ein Modell eines solchen besteht aus einem hohlen, oben offenen, unten verschlossenen Cylinder, welcher senkrecht auf einem Zapfen steht; dieser Zapfen ist das Ende einer Welle, welche durch die Achse des Cylinders geht. Nahe am Boden des Cylinders sind 6–8 hervorragende horizontale Röhren, wie die Speichen eines Rades angebracht. Diese Röhren sind am äußeren Ende verschlossen, haben aber nahe daran, an der Seite, u. zwar alle nach derselben Richtung, ein Loch. Leitet man nun mittelst einer Rinne Wasser oben in den Cylinder, welches unter ansehnlichem, der Höhe des gefüllten Cylinders entsprechendem Drucke durch die Seitenöffnungen der Röhren heraus fließt, so dreht sich die Maschine auf die entgegengesetzte Seite herum. Das Reactionsrad kann bei mehren Maschinen als bewegende Kraft benutzt werden, indem man an der Welle, welche durch den Cylinder geht, oben eine Kurbel od. ein Kammrad anbringt. Nach obiger Beschreibung würde bei Ausführung im Großen der Druck des Zapfens gegen die Unterlage sehr bedeutend sein; diesem Übelstande ist jedoch durch die Erfindung von Althans abgeholfen, nach welcher die drückende Wassersäule nicht von oben in die horizontalen Arme mündet, sondern durch zwei Kniee von unten einströmt. Solche Maschinen heißen auch Schottische Turbinen, weil sie in Schottland bes. verbreitet sind. Auch kann man unmittelbar Mühlsteine daran anbringen, die Welle geht frei durch das Auge des Liegers u. ist in dem Läufer verkeilt, wie dies bei der Barkerschen Wassermühle ohne Rad u. Getriebe der Fall ist. 3) In der Chemie eine bestimmte Art der Einwirkung eines chemischen Stoffes auf einen andern; s. Reagentien; 4) im Staatsleben diejenigen Bestrebungen, durch welche früher gewaltsam zurückgedrängte od. in revolutionärer Weise umgestoßene Zustände u. Verhältnisse sich wieder geltend machen; als Wiederherstellung dessen, was vorher gegolten hat, ist die R. Restauration (s.d.); als Zurückführung dessen, was sich als unzweckmäßig u. schädlich erwiesen hat, trifft sie häufig der Tadel des Rückschritts. Daß fast nach allen heftigen, raschen u. gewaltsamen Umwandlungen auf dem Gebiete des politischen Lebens Perioden der R. eintreten, beruht darauf, daß die durch eine solche Umwandlung zurückgedrängten Kräfte nicht vernichtet, sondern eben nur zurückgedrängt waren u. sich wieder geltend machen, sobald sie können, ungefähr wie in der physischen Welt der Ausschlag eines Pendels nach einer Seite einen entsprechenden nach der andern Seite zur Folge hat. Während daher auf Perioden der Revolution Perioden der R. folgen (z.B. seit 1815 beinahe in ganz Europa, ebenso in Deutschland nach 1849), führen allmälig vorbereitete u. langsam sich vollziehende Umgestaltungen des politischen u. gesellschaftlichen Lebens wenigstens zu keiner, selbst in gewaltsamer Form auftretenden R.; allmälig absterbende Kräfte können eben nicht reagiren. Dieselbe politische Weisheit, welche Revolutionen vorbaut, baut auch der R. vor. Vgl. Tzschirner, Das Reactionssystem Lpz. 1824.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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