Schlaf [1]

Schlaf [1]

Schlaf (Somnus), der Act des organischen Lebens, in welchem die psychischen Thätigkeiten, nebst den Empfindungswahrnehmungen u. der willkürlichen Bewegung ruhen u. zu neuer Thätigkeit gestärkt werden, wobei zugleich die gesammte bildende Thätigkeit im Körper vollständiger, die Function des Kreislaufes u. der Respiration aber gleichmäßiger von Statten gehen. Der S. steht dem Wachen entgegen, u. zwischen beiden liegen zwei Mittelzustände, das Einschlafen u. Aufwachen. Da im S-e die Reproduction u. das Gangliensystem vorherrscht, so ist er Kindern um so nothwendiger, je jünger sie sind, dagegen den Greisen weit mehr entbehrlich; zu wenig S. erschöpft sehr bald die Kräfte des Körpers u. verursacht krankhafte Spannungen im Gefäß- u. Nervensystem; zu reichlicher S. begünstigt die Reproduction. Hat sich unter den Beschäftigungen u. Eindrücken des Tages die Empfänglichkeit des Menschen abgestumpft u. das Wirkungsvermögen vermindert, so stellt sich der Zustand der Schläfrigkeit ein, die Seelenkräfte zeigen sich unfähig zu den gewohnten Verrichtungen, die Sinneseindrücke werden schwächer, die Augenlider schließen sich, die Muskelthätigkeit erschlafft, die Extremitäten sinken in gebogene Stellungen, der Oberkörper krümmt sich od. sucht vollkommnere Unterstützung, der Kopf sinkt auf die Brust od. nach einer Schulter hin. Häufiges Gähnen u. Strecken der Glieder deutet lange vorher schon die Störungen des Kreislaufes aus mangelndem Reactionsvermögen an, der Puls wird ungleich u. selten, die Respiration tief u. selten. So tritt allmälig die Schläfrigkeit in den Zustand des Halbschlafes od. Schlummers über, welcher durch die Möglichkeit des leichten Erweckens u. durch eine leise u. weniger tiefe Respiration von dem tiefen S-e sich auszeichnet. Der tiefe S. ist durch vollkommene Bewußtlosigkeit u. durch Unfähigkeit zur willkürlichen Muskelbewegung ausgezeichnet. Das Aufwachen aus dem S-e geschieht von selbst durch die aufhörenden Bedingungen des S-s, durch geschehenen Ersatz der Nervenkräfte, des wieder gestärkten Vermögens der Reaction u. Receptivität. Mit diesem Zustande der Kräfte ist der S. nicht mehr verträglich; die Sinneseindrücke geschehen nach u. nach in voller Stärke u. das Selbstbewußtsein regt sich zu neuer Thätigkeit. Wacht man unter solchen Umständen auf, so fühlt man sich gestärkt u. heiter u. im vollsten Besitze der Lebenskräfte. Anders ist es, wenn man durch stark wirkende äußere Eindrücke aus dem S-e geweckt wird, man fühlt sich dann wohl den ganzen Tag über mißmuthig u. verdrossen. Die Eindrücke, welche uns von außen her in den ersten Stunden des S-s erwecken sollen, müssen die Eindrücke an Heftigkeit übertreffen, an welche man gewöhnt ist; in den späteren Stunden des S-s erwecken auch mildere Eindrücke schon. Am leichtesten wecken Eindrücke des Tastsinnes, dann die des Gehöres, aber auch ein starker Geruch u. ein ungewöhnliches Licht. Selbst Veränderung in der Einwirkung auf gewisse Sinnesorgane, an welche wir gewöhnt sind, ist bisweilen zum Erwecken hinreichend; so erwacht der Müller vom Stillstehen der Mühle etc. Auch über lebhafte Träume erwacht man. Geschieht das Erwachen aus einer od. der anderen Ursache, so geschieht es doch nie ganz plötzlich, u. es gibt dann noch einen kürzeren od. längeren Zwischenzustand zwischen S.u. Wachen (Schlaftrunkenheit, Somnolentia). Öffnen der Augenlider ist das erste Zeichen des Erwachens, es folge Reiben der Augen, Gähnen u. Recken der Glieder, noch sind aber die Sinne nicht vollkommen thätig, auch die inneren Sinne sind noch so wenig thätig, daß die gehabten Träume oft noch in die bereits halb erkannte Wirklichkeit übergehen. Das Bedürfniß eines längeren od. kürzeren S-s u. der mehr od. weniger ruhige Zustand während desselben in verschiedenen Individuen, Lebensaltern, Klimaten etc. ist mannigfaltig verschieden. Fette, wohlbeleibte, phlegmatische Personen, bei denen die Reproduction überwiegt, schlafen gewöhnlich länger, als cholerische u. sanguinische; daher im Ganzen Weiber länger als Männer; zarte nervenschwache Personen schlafen kurzen, unruhigen, leicht zu störenden S. Nach ungewöhnlich langer Entbehrung des S-s u. dabei Statt gefundener Aufreibung der Kräfte durch körperliche u. geistige Einwirkungen u. Anstrengungen findet bisweilen ein ungewöhnlich langer u. tiefer S. statt. Die verschiedenen Klimate machen in so fern einen Unterschied, als man in heißen Gegen den länger, wohl auch öfter schläft, daher den mittäglichen Völkern Europas ein Mittagsschlaf (Siesta) nöthig ist. Auch feuchte, nebelige, sumpfige Gegenden begünstigen, indem sie die Empfänglichkeit des Körpers u. seine Reaction herabsetzen, einen längeren S. In kälteren Regionen hingegen u. bei frischer Luft der Berghöhen schlafen die Bewohner[206] kurze Zeit u. haben ein geringeres Bedürfniß des S-s. Im Durchschnitt scheinen für das mittlere Lebensalter 7–8 Stunden zum gefunden stärkenden S. hinzureichen. Doch ist die Zeit des S-s nicht gleichgültig, 2 Stunden vor u. 5–6 Stunden nach Mitternacht scheinen sich am besten für den S. zu eignen. Überhaupt ist die Gesundheitsregel so lange zu schlafen, als genügt, um gestärkt u. erkräftigt zu sein. Zu langer S. macht träge u. begünstigt Stockungen der Säfte u. Verrichtungen. In Krankheiten ist bei Eintreten der Genesungsperiode ein ruhiger u. anhaltender S. das kräftigste Förderungsmittel der Wiederherstellung u. steht in dieser Hinsicht einer Krise gleich. Zu erwähnen sind noch der krankhafte (s. Schlafsucht) u. der Magnetische S. (s.u. Thierischer Magnetismus). Vgl. Buchholz, Über den S.u. die verschiedenen Zustände desselben, Berl. 1821. Hinsichtlich des Pflanzenschlafes s. Pflanzen S. 8. Den Alten galt der S. als Gabe eines wohlthätigen Gottes, Hypnos (s.d.), bei einigen alten Völkern, z.B. bei den Phönikern, war gewöhnlich in heiligender Absicht in Tempeln zu schlafen, von denen es auch die Juden angenommen hatten, was aber Jesaias als einen Frevel tadelt; auch bei den Griechen war der Tempelschlaf gewöhnlich, bes. in den Kapellen des Amphiaraos u. Trophonios (s. b.), um im S. Orakel zu bekommen, od. auch aus Gesundheitsrücksichten, s.u. Incubation. Auch die lappischen Zauberer wurden im S. zu Weissagungen inspirirt, s. Lappische Religion.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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