- Tscheremissen
Tscheremissen, finnischer Volksstamm von 2–300,000 Köpfen im Russischen Asien, bes. in den Statthalterschaften Wjatka (80,000), Kasan (75,000), Perm (10,000), Nishnij Nowgorod (7000), Kostroma (4000), Orenburg (3000), Simbirsk etc.; gehören zu den sogen. Wolgafinnen; sind schmutzig, ärmlich, schüchtern, blondhaarig, größer als die anderen Finnen, wohnen in Dörfern od. einzeln liegenden Jurten, treiben Ackerbau, etwas Viehzucht, Jagd, Fischerei; ihre Sprache s. Tscheremissische Sprache. Religion: griechisch- katholisch. Viele sind noch Heiden; die Priester derselben heißen Maschan od. Muschan, der Oberpriester Jügtüsch; auch die christlichen Stämme wählen sich einen Wahrsager u. Traumdeuter, Kart genannt, welcher am Udschö einen Gehülfen hat. Gott heißt in ihrer Sprache Juma od. Kojujuma (der höchste Gott); seine Gemahlin Jumon Awa (Göttermutter) wird nach ihm am meisten verehrt; andere Gottheiten sind: Purükscha od. Pugurscha Juma, auch Kudortscha Juma (Wettergott, Donnergott), Kitscheba (Sonnengöttin), Kaba etc. Puember Juma ist der gottgesandte Prophet, durch Berührung mit Tataren in ihre Religion aufgenommen. Der Teufel heißt Schaitan, wird aber euphonistisch Jo genannt. Die heiligen Plätze ihrer Gottesverehrung, welche bes. am Freitag stattfindet, sind freie Waldstellen, welche am liebsten mit Eichen begrenzt sind, sie heißen Keremet. Die T. haben auch Opfer, bes. in weißen Thieren (Pferden, Rindern, Ziegen, Schwänen, Gänsen u. anderem Geflügel) od. Bier, Meth, Branntwein u. Kuchen bestehend. Ihre Hauptfeste sind: Jumon Bairan, das allgemeine Götterfest, Anga Soaren, das specielle Frühlingsfest, Utkinde Bairan, das Erntefest. Die getauften T. feiern fast alle diese Feste insgeheim noch heutiges Tages mit, haben aber, von der griechischen Geistlichkeit entdeckt, dafür oft harte Strafen zu erleiden. Ehe- u. Hochzeitsgebräuche: die Braut wird den Eltern mit Gold abgekauft; sie sitzt am Tage der Verlobung verschleiert hinter einem Verschlag, geht, wenn sich die Gäste versammelt haben, dreimal traurig, von ihren Gespielinnen (welche dabei etwas Brod, Bier u. Honig genießen) begleitet, in dem Zimmer umher. Hierauf nimmt ihr der Bräutigam den Schleier ab, küßt sie u. tauscht den Ring. Sie legt das Frauenkleid an u. wird als Frau betrachtet. Die Neuvermählten essen in einem besonderen Zimmer u. sind sich selbst überlassen. Am folgenden Morgen nimmt der Vater eine Peitsche in die Hand u. fragt, wie der Ehemann zufrieden ist, diese Frage wiederholt er einige Tage u. prügelt die Frau, wenn die Antwort nicht günstig lautet. Die Begräbnisse finden drei Tage nach dem Tode statt, der Verstorbene wird in den Sarg gelegt u. bekommt das beste Kleid u. eine Silbermünze zur Überfahrt, einen Stock u. eine Ruthe, um die bösen Geister abzuwehren, u. einiges Hausgeräth mit. Die Männer u. Frauen klagen beim Begräbniß. Wenn der Sarg in das Grab gesenkt wird, zündet jeder Anwesende eine Kerze an u. wirft eine Hand voll Erde nach. Die Priester bitten die Götter um Erbarmen für den Todten. Nach zwei Tagen besucht man das Grab, wo der Priester das Gebet wiederholt. Jährlich wird ein Todtenfest gefeiert.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.