Typhus

Typhus

Typhus (v. gr.), typhöses od. Nervenfieber; eine typische, mit anhaltendem Fieber u. Hirnreizungssymptomen verlaufende, sich bes. auf den inneren Schleimhäuten (Ileotyphus, T. abdominalis, Dothienenteritis) od. der äußeren Haut (T. exanthematicus) kundgebende, miasmatisch-contagiöse Blutkrankheit. Der T. kommt endemisch u. epidemisch, selten sporadisch vor. Der Ausbruch einer Epidemie wird durch Zusammenhäufung vieler Menschen auf einem kleinen Raume u. die dadurch bedingte Luftverderbniß begünstigt, ferner durch schlechtes mit faulenden Stoffen verunreinigtes Trinkwasser, kärgliche schlechte Nahrung, feuchte Luft. Unter diesen Umständen entsteht auf uns unbekannte Weise ein Miasma (Typhusmiasma), welches, sobald es von Typhuskranken selbst ausgeht, zum Typhuscontagium wird u. auch ohne jene Ursachen die Krankheit weiter verbreiten kann. Das Contagium braucht erst eine gewisse Zeit, 3–16 Tage (Incubationsstadium), bevor es die Zeichen der Krankheit selbst im Körper hervorruft. Als Vorläufer des T. gelten allgemeines Übelbefinden, Appetitlosigkeit, Kopfweh; jedenfalls muß man aber annehmen, daß bei typhöser Erkrankung das Blut wesentlich verändert wird u. daß die eintretenden Erscheinungen Folge der veränderten Blutbeschaffenheit sind. Die ganze Krankheit ist typisch, steigt zu einer gewissen Höhe (Stadium incrementi) u. fällt dann wieder (St. decrementi), was eine Zeit von 3–4 Wochen in Anspruch nimmt. Der typhöse Proceß beginnt, sobald sich die Eigenwärme des Körpers über die Norm erhebt, u. hört auf, nachdem sie zur Norm zurückgekehrt ist (am 21. od. 23. Tage); dann tritt das Stadium der Reconvalescenz ein. Die typhösen Erscheinungen treten an verschiedenen Punkten des Körpers auf (Localisationen des T.). Auf der Schleimhaut des Verdauungsapparates gibt sich die Krankheit kund durch einen lackartigen, leicht einreißenden Zungenbeleg, an den Lippenrändern u. Zahnhälsen durch mißfarbige Säume u. Krusten. Schlundkopf, Speiseröhre u. Magen nehmen nicht ausfallend an der Erkrankung Theil, ebensowenig der Dünndarm, mit Ausnahme des Endtheils desselben, des sogenannten Krummdarms, u. zwar in immer steigendem Maße bis zum Übergang des Dünndarms in den Dickdarm, an der sogenannten Blinddarmklappe. Der anfängliche Katarrh concentrirt sich in den Darmfollikeln u. den Peper'schen Drüsen, welche durch Erguß einer graugelblichen Masse (typhöses Product) geschwollen sind. Im weiteren Laufe der Krankheit verbindet sich die absterbende Schleimhaut der so erkrankten Stellen mit dem typhösen Product zu einem Schorfe, welcher, sich abstoßend, ein Geschwür (typhöses Geschwür) zurückläßt. Das Geschwür kann durch Narbenbildung verheilen, aber auch die Darmwand durchbohren u. zu tödtlichen Entzündungen des Bauchfells führen. Der Dickdarm wird nur in den schwereren Fällen ergriffen. Die Lunge zeigt sich mit Blut überfüllt u. vorzüglich in ihren unteren Theilen luftarm, dunkelroth (Splenisation des Lungengewebes). Das Athmen wird dadurch erschwert, die Anzahl der Athemzüge, sowie die Herzthätigkeit vermehrt. Fast stets zeigen sich aus der Haut verschiedene Exantheme, vorzüglich rothe Bläschen (Roseola typhosa). Durch die krankhafte Blutmischung werden Veränderungen u. Vorgänge im Nervensysteme (nervöse Symptome) bedingt. Am häufigsten ist der Kopfschmerz, welcher heftig auftretend mehre Tage andauert u. endlich in den Delirien aufgeht. Man theilt den Verlauf des T. in fünf Stadien ein: Stadium der gastrischen Reizung mit den Zeichen des Magenkatarrhs, Stuhlträgheit häufiger als Diarrhöe, Abgeschlagenheit, Kopfschmerz, Frost mit Hitze abwechselnd, Fieber, Dauer 3–4 Tage; Stadium des Ausbruchs (Stadium eruptionis), verstärktes Fieber, Unterleib aufgetrieben u. empfindlich (vorzüglich Magen u. Blinddarmgegend), Respirationssymptome wie schon erwähnt, Delirien wenigstens Abends u. Nachts; nervöses Stadium (Stadt. nervosum), Anschwellung der Milz, Auftreibung des Leibes, beschwerliches Athmen, häufige Stuhlausleerungen, fast continuirliche Delirien; Stadium der Krisis (Stadt. criseos), Haut wird feucht, Exantheme schuppen sich, Unterleib fällt ein, der Stuhlgang wird weniger häufig u. kothsührend, die Zunge reinigt sich, mit dem Schlafe kommt Appetit; Stadium der Genesung (Stad. reconvalescentiae), die Darmgeschwüre vernarben, die Nervenreizbarkeit, Schwäche u. Schlaffheit der Muskeln verlieren sich mehr u. mehr u. allmälig kehrt die Gesundheit wieder. Jedoch können mancherlei Störungen des Verlaufes eintreten u. gleichsam Varietäten des T. bilden: a) T. exanthematicus s. petechialis[92] (früher sehr häufige Typhusform), wobei die Unterleibssymptome (T. abdominalis) fast gar nicht auftreten, dafür aber ein masernartiges Exanthem meist über den ganzen Körper sich verbreitet. Nach einigen Tagen färbt sich das Exanthem braun od. gelbroth u. schuppt sich nach u. nach kleienartig ab. An einzelnen Stellen zeigen sich Petechien, selten Blasen u. Pusteln; zuweilen kommt auch Rose, Brand u. Decubitus vor. b) Pneumo- od. Laryngotyphus, wobei die Lungensymptome so heftig auftreten, daß dadurch die Unterleibssymptome in den Hintergrund gedrängt werden. Sind die Hirnsymptome vorwiegend, so spricht man vom c) T. cerebralis. Die Behandlung des T. verlangt vorerst die Entfernung u. Zerstörung des Contagiums u. der übrigen in der Atmosphäre befindlichen, ursächlichen Momente; dazu dienen beständige Erneuerung der Luft im Krankenzimmer, mineralsaure, bes. salpetersaure u. Chlor od. Essigdämpfe, Fortbringen des Kranken u. Gesunden aus verpesteten Zimmern u. anhaltende Reinigung derselben, große Reinlichkeit der Krankenzimmer überhaupt, Verminderung der Menschenzahl in denselben, schnelle Entfernung u. Zerstörung der ausgeleerten Stoffe, vorsichtige Reinigung der Wäsche u. gebrauchten Kleidungsstücke durch Aussetzen der Zugluft, Waschen in heißem od. gesäuertem Wasser od. Lauge, Zerstörung derselben durch Verbrennen in der freien Luft. Ist aber der Fieberfrost eingetreten u. die Krankheit also entschieden, dann kann der Kranke nicht anders genesen, als dadurch, daß er durch die verschiedenen Stadien der Krankheit hindurchgeführt wird u. daß bes. die Krisis eintritt. Im ganzen Verlaufe der Krankheit findet daher eigentlich blos eine systematisch-palliative Behandlung Statt, d.h. man sucht die gefährlichen Erscheinungen, je nach den verschiedenen Stadien, zu mäßigen u. überläßt die Heilung der Naturthätigkeit, welche man zu unterstützen sucht. Zur Zeit der Krisis enthält man sich womöglich, wenn nicht ganz drohende Erscheinungen eintreten, aller arzneilichen Einwirkungen. Die Reconvalescenz, sowie die Behandlung der Nachkrankheiten wird von allgemeinen Regeln geleitet. Vgl. V. J. v. Hildbrand, Über den ansteckenden T., Wien 1810, 2. Aufl. ebd. 1815; Marcus, Über den jetzt herrschenden T., Bamb. 1813; Wedemeyer, Über die Erkenntniß u. Behandlung des T., Halberst. 1814; Hufeland, Die Kriegspest alter u. neuer Zeit, Berl. 1814; Horn, Erfahrungen über die Heilung des ansteckenden Nerven- u. Lazarethfiebers, Verl. 1814; Eisenmann, Krankheitsfamilie T., Erlang. 1835; Wunderlich, Nosologie des T., Stuttg. 1839; Sauer, Der T. in vier Cardinalformen, Wien 1841; Schalk, Skizzirte path. anat. Darstellung des Typhusprocesses, Erl. 1851.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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