- Harnabsonderung
Harnabsonderung (Harnabscheidung), Bildung des Harns in den Nieren; sie ist keineswegs als eine rein mechanische Filtration anzusehen, wenn auch die im Urin enthaltenen Stoffe schon im Blute wenigstens vorgebildet enthalten sind. Der Einfluß der Nerven dabei ist jedenfalls nicht unbedeutend u. zwar der Einfluß des sympathischen Nervensystems bedeutender als der des Rückenmarkes. Von allen den über den Vorgang der H. aufgestellten Ansichten hat folgende die meiste Wahrscheinlichkeit für sich: Indem in den Nierenkörperchen der Blutstrom aus einem engeren (dem einführenden Gefäße) in ein weiteres (das Nierenkörperchen) selbst u. dann wieder in ein engeres (das ausführende Gefäß) strömt, wird auf die Gefäßwandungen ein bedeutender Druck ausgeübt u. vermöge dieses Druckes ein gewisses Quantum Flüssigkeit durch die Gefäßhäute ausgepreßt. Dabei bleibt freilich nur hypothetisch, daß diese Gefäßwandungen im Normalzustande nur das Wasser des Blutes, einen Theil der Extractivstosse u. die freien nur im Wasser gelösten Salze durch sich hindurchtreten lassen, den Proteïnstoffen jedoch, den fetten u. den mit beiden in Verbindung befindlichen mineralischen Bestandtheilen den Durchgang nicht gestatten. Dadurch wird ein dickeres concentrirteres Blut aus dem Nierenkörperchen ausgeführt u. an den Anfängen der Nierenkanälchen wird nun eine dünne Flüssigkeit mit wenig festen Bestandtheilen sich befinden. Diese dünne Flüssigkeit kommt nun beim weiteren Vordringen in dem Harnkanälchen mit dem concentrirten Blute[48] der Capillaren in ganz innige Berührung (da beide nur durch ganz dünne Wandungen von einander getrennt sind), gibt Wasser an dieses ab, nimmt feste Bestandtheile, Harnstoff etc. auf u. erlangt auf diese Weise die Mischung des normalen Urins. Nach dieser Anschauung des Vorganges der H. läßt sich mit Leichtigkeit erklären, warum der flüssige Urin nie eine gewisse Concentration übersteigt, warum die Concentration, bei normalen Blutbestandtheilen von der Schnelligkeit der Entleerung abhängig ist, warum sich die Urinquantität mehrt, wenn sich die in den Urin auszuscheidenden festen Stoffe des Blutes mehren, u. endlich warum, wenn sich die festen Bestandtheile des Urins aus der Flüssigkeit noch innerhalb der Nieren niederschlagen, keine Flüssigkeit aus den Nieren mehr ausgeschieden wird. In neuester Zeit hat man den Einfluß des Blutdrucks auf die H. näher kennen zu lernen gesucht u. gefunden, daß bei verringertem Blutdruck (nach einem Aderlaß) die H. sich vermindert u. umgekehrt bei vermehrtem Blutdrucke zunimmt. Jedoch treten auch in den Nieren u. in der chemischen u. physikalischen Beschaffenheit des Blutes Umstände ein, welche die H. unabhängig vom Blutdruck modificiren. Die H. kann im Verhältniß zu den genossenen Getränken zu gering u. zu bedeutend u. Symptom verschiedener Krankheiten sein. Sehr verminderte od. auch völlig unterdrückte H. begleitet gewöhnlich acute Nierenkrankheiten u. chronische Nierendegenerationen, manche Vergiftungen, Cholera, typhöse Fieber, bedeutende Wassersuchten. Ganz unterdrückte H. hat nicht selten Harnvergiftung des Blutes zu Folge; vermehrte H. (ohne Vermehrung des Getränkes) findet in dem Stadium der Aufsaugung von entzündlichen od. wassersüchtigen Ausscheidungen u. bei der Harnruhr statt. Der H. entsprechend soll die Harnausscheidung sein.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.