Schmerz

Schmerz

Schmerz, jede stärkere unangenehme Erregung des Gefühls, jedes tiefere Mißvergnügen, als der Gegensatz von Vergnügen. Der S. ist theils körperlicher, theils geistiger Art. Der körperliche S., welcher als naturgemäße Erscheinung nur bei den Geburtswehen vorkommt, tritt sonst überall als krankhafte Störung der Empfindungsnerven, bald als Begleiter von anderen Krankheitszuständen, bald als besonderes Leiden, in seiner reinsten u. zugleich höchsten Ausbildung als Nervenschmerz (Neuralgie) auf. Indem der S. als örtliches Leiden der Nerven sich durch deren Verbindung mit dem Gehirn, worin dessen wesentliche Bedingung liegt, diesem mittheilt, wird er zwar zunächst an der betroffenen Stelle des Nerven empfunden, in der Regel aber in der Wahrnehmung an die peripherischen Enden desselben versetzt. Die vielfachen Verzweigungen der Nerven veranlassen, daß er nicht nur leicht über den leidenden Punkt in die nächste Umgebung, sondern auch noch weiterhin ausstrahlt, od. sich nach den Gesetzen der Mitleidenschaft entlegeneren Nervenpartien mittheilt, wobei selbst der Reiz an der ursprünglich leidenden Stelle nicht empfunden werden kann. Mehr als viele andere Krankheitszustände nimmt vorzüglich der reine Nervenschmerz einen rhythmischen, durch Verschlimmerungen u. Nachlässe ausgezeichneten Verlauf Zuweilen blitzt der S. an einzelnen Stellen eines od. mehrer Nervenbahnen auf (Schmerzenspunkten). Bei Nervengeschwülsten ist die schmerzende Stelle als Knötchen (Schmerzknötchen) zu fühlen. Die Ursachen des S-es liegen entweder in äußeren Verletzungen der Nerven, od. in innern bald materiellen Veränderungen derselben wie Entzündungen, Desorganisationen, bald in dynamischen Reizungen derselben. Sein Maß hängt theils von der Menge der in einem Theile befindlichen Nerven, theils u. hauptsächlich von der Schwere der erzeugenden Verletzungen ab, doch wird er zugleich auch mit von der eigenthümlichen Empfindlichkeit des Theils, so wie der des Leidenden selbst u. der Art des bedingenden Reizes bestimmt. Obgleich der eigentliche Stachel einer sehr großen Anzahl von Krankheiten, ist doch der S. auch der wohlthätige Verräther körperlicher Störungen, aber für sich selbst selten, sondern mehr indirect durch Erweckung der Naturkräfte heilsam, häufig dagegen künstlich erzeugt eine kräftige Waffe gegen mancherlei Krankheiten, ja gegen sich selbst. So schwer auch sein Angriff auf dir Constitution ist, so bringt er für sich doch selten Gefahr, kann aber bei langer Dauer u. zu großer Heftigkeit, durch die ihn begleitende Schlaflosigkeit, Überreizung des Nervensystems, Störung der Verdauung sehr erschöpfen u. die Gesundheit untergraben u. aufs Höchste gesteigert zu Zuckungen, Krämpfen, Irrereden, gänzliche Empfindungslosigkeit od. selbst Nervenschlagfluß führen. Die S-en sind theils als Symptome anderer Krankheiten, theils als besondere Affectionen, Gegenstände der ärztlichen Kunst, welche sie durch die sogenannten Schmerzstillenden Mittel (Anodyna), bald narkotische, worunter das [320] Opium oben ansteht, od. mehr nervenberuhigende, od. durch Ableitung, Umstimmung etc., am besten aber durch Entfernung ihrer Ursachen bekämpft. Der geistige S. wird als widrige Erregung des Gefühls, theils durch den körperlichen herbeigeführt, theils durch mannigfaltige niederdrückende geistige u. moralische Einflüsse auf dieses erzeugt u. bildet als solcher den Anfang u. niedrigsten Grad der meisten deprimirenden Affecte, od. zeigt sich auch als deren Begleiter, bei längerer Dauer u. größerer Intensität leicht Körper u. Geist beeinträchtigend.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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