Wendische Mythologie

Wendische Mythologie

Wendische Mythologie, das Heidenthum der slawischen Wenden, s.d. Die Wenden verehrten zwar viele einzelne Götter, aber unter ihnen allen war ein Allmächtiger (Bog), von welchem jene abstammten od. unter welchen jene standen. Die wendischen Götter theilten sich in zwei Reihen, Rathgeber (Razi) u. Zauberer (Zirnitra), welche Eintheilung mit der bei andern slawischen Völkern in Schwarz- u. Weißgötter übereinkommt. Die letzteren wurden thierisch gebildet, während die ersteren von menschlicher Bildung waren u. nur, wenn sie auch böse Bedeutung hatten, durch ein Thiersymbol an ihnen dies angedeutet wurde. Jeder Reihe stand ein Gott vor. Rath- od. Weißgötter: der erste Gott war der zu Arkona od. Arekunda verehrte Swantewit (s.d.); an der Spitze der Naturgötter, d.h. derer, welche himmlische u. irdische zugleich waren, stand Radegast (s.d.), der zu Rethra verehrte Sonnengott; ältere Sonnengötter waren Podaga u. Prove;[93] der Mondgott hieß Triglaw u. wurde in Stettin verehrt; ferner waren Doppelwesen die zu Karenz verehrten Rugiäwit, Porewit u. Porennt; Intribog war Gott der Morgenröthe; Belbog od. Bielbog Gott der Hitze u. der durch sie erzeugten Insecten, bes. Mücken; Hennil (Henil od. Honidlo) der Schutzgott der Hirten; Jessen od. Chasen, ein Feuergott, Sitiwrat, der Saturn der Wenden, Lado die Göttin der Ehe u. Liebe, u.a.m. Zauber- od. Schwarzgötter: der erste ist Pya od. Czernebog (Czernybog), der Todesgott Flins u. die fürchterliche Hela, Mita u. Nemisa; der in Rethra verehrte Zaubergott Vodha (s.d.) od. Woda; Pochvist u. Chovorz, die Götter des Sturms, Zelu (Zelun), der Götterbote, u.a.m. An der Spitze der Waldgötter stand Berstuk, dann Sicksa u. Gudii; der Gegensatz zu diesen waren die Hausgeister Gasto, von denen nur der mit Löwenkopf u. Schuppen u. Federn besetzte Marowit bekannt ist. Einige der genannten Götter waren nur Gaugottheiten, z.B. Radegast bei den Mecklenburgern, Prove bei den Wagriern etc. Ausgezeichnete Priester u. Stammhelden genossen ein göttliches Ansehen, daher sich alt gewordene Priester auf Scheiterhaufen legten u. sich dem Swantewit od. Radegast freiwillig opferten; solche Halbgötter waren Ipabog, Mizislaw, Plusso u. Stois. Außerdem findet sich in der W-n M. noch eine Menge anderer Götter, von denen die alten Chronisten nur die Namen nennen, ohne ihr Wesen zu bezeichnen. Auch herrscht noch großes Dunkel in Bezug auf Auseinanderhaltung der speciell W-n M. u. der Mythologie der Czechen, Polen u. anderer slawischen Völkerschaften. Auch die Lithauisch-Preußische, Lettische u. selbst Finnische Mythologie spielt in die W. M. oft hinein. Die Hauptsitze des wendischen Heidenthums waren Vineta, Arkona, Karenz, Rethra. Die Priester bildeten eine vollständige Hierarchie; der Oberpriester war in Arkona, er trug langes Haar u. Bart, ihm war selbst der König unterthan. In Rethra hatten die Priester ihre bestimmte Rangordnung, der unterste Grad war der Rabo (Diener), der dritte der Miki od. Micke (Priester), der zweite der Veidellot, der erste der Criwe (Hohepriester). Die Tempel waren meist reich, da das Gesetz 1/3 der Kriegsbeute für den Landesgott forderte; dazu kamen Geschenke auswärtiger Könige u. Kaufleute u. die, den überwundenen Völkern aufgelegten Kirchenschatzungen. Zu dem Tempel gehörten 300 Reiter, als die heilige Schaar des Gottes, deren Erwerb u. Beute von dem Hohenpriester aufbewahrt wurde. Die gewöhnliche Andacht wurde von den Unterpriestern verrichtet, der wöchentliche gerichtliche Gottesdienst am Montag, als dem heiligen Wochentage, bei den Wagriern von dem Miki, an den Jahresfesten, bes. an dem Erntefeste, von den Veidelloten u. Criwen. Göttern geringern Ansehens wurde nur von Priesterdienern geopfert, den höhern von Priestern. Opfer: überhaupt Thiere, Kuchen, auch Menschen, bes. auf Rügen gefangene Christen. In Rethra wurden die Feste durch das Loos bestimmt; die Feste wurden mit Opfern, Schmäusen u. lärmender Fröhlichkeit begangen. Die oberen Götter hatten besondere Feste, die Untergötter gemeinschaftliche, je nachdem in ihrer Bedeutung etwas Gemeinschaftliches lag. Die Wahrsagung wurde getrieben durch eine Art Loose, welche aus drei halbschwarzen, halbweißen Stäbchen bestanden; sie wurden geschüttelt u. aufgelegt, war die Mehrzahl schwarz, so war es ein Unglückszeichen, mehr weiße bedeutete Glück. Die Weiber machten, ohne zu zählen, Striche in die Asche, dann zählte man, u. die gerade Anzahl galt als von guter, die ungerade als von unglücklicher Bedeutung. Vgl. Wogen, Die gottesdienstlichen Alterthümer der Obotriten, Berl. 1772; Mone, Geschichte des nordischen Heidenthums, 1. Th, S. 172 ff.; Konrad Schwenck's Mythologie Bd. 7 (Die Mythologie der Slawen, Frankf. a. M. 1855) u. Niemeyer, Mythologie der alten Völker, Nordländer, Wenden u. Slawen, Lpz. 1855.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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