Brille [1]

Brille [1]

Brille (von dem mittellateinischen berillus für beryllus, welches jeden durchsichtigen Stein bezeichnet); 1) Augenglas, mit welchem man der Sehkraft zu Hülfe kommt. Der Gebrauch der B-n ist sehr weit verbreitet. Bei älteren, in der Nähe schlecht sehenden Leuten (Weitsichtigen, Presbyopen), wo die Feuchtigkeiten der Augen dertrocknet sind, fällt das Bild naher Gegenstände hinter die Netzhaut, u. sie bedürfen convex geschliffener Gläser, um das starke Divergiren der Strahlen naher Gegenstände zu mindern; hingegen bei jüngeren Leuten (Kurzsichtigen, Myopen), wo die Linse oder das ganze Auge convex ist, od. wo die Linse von der Netzhaut zu weit entfernt ist, od. wo das Auge während der früheren Lebenszeit zu sehr angestrengt ist (weshalb es denn auch bes. bei Studirenden am häufigsten vorkommt), od. durch Krankheiten (wie durch Nichtverhängen der Fenster während der Masern) geschwächt ist, fällt das Bild vor die Netzhaut, u. sie bedürfen concaver Gläser, um die entgegengesetzte Wirkung zu erlangen. Die Brillengläser sind entweder biconvex, wenn sie auf beiden Seiten erhaben, od. biconcav, wenn sie auf beiden Seiten hohl geschliffen sind; od. planconvex od. planconcav, wenn sie nur auf einer Seite eben u. auf der andern erhaben od. hohl geschliffen sind; convex-concav sind sie aber, wenn sie in der Mitte dicker als nach dem Rande zu geschliffen sind. Plan (Flach-) gläser sind solche, die auf beiden Seiten glatt wie Spiegelglas sind, wie bei Staubbrillen es wohl gewöhnlich ist, doch nennt man auch sehr flach (mit 100–140 par. Brennweite) geschliffene Brillengläser so, die einem nur etwas blöden, aber weder weit noch kurzsichtigen Auge die Gegenstände aufhellen. Beim gefunden Auge beträgt die Entfernung, in welcher man am besten sieht, von dem Auge 10–12 Zoll; erscheint der Gegenstand erst jenseits dieser Entfernung deutlich, so bedarf man convexer B-n, die um so erhabener erfordert werden, je weiter jener entfernt ist. Umgekehrt verhält es sich, wenn der Gegenstand näher am Auge als 10 Zoll deutlich erscheint; man bedarf dann concaver B-n, die um desto hohler erfordert werden, je mehr der Gegenstand dem Auge genähert werden muß, um deutlich zu erscheinen. Man hat also für jeden Grad der Augenschwäche eine Nummer, welche für dieselbe passend ist u. eine Conservationsbrille abgiebt, d.h. eine Brille, welche das Auge in seinem Zustande erhält u. dasselbe nicht noch schwächer werden läßt durch die Anstrengung im unbewaffneten Zustande. Diese Nummern werden meist nach den Zollen bestimmt, welche eine Kugel od. Schale, über der ein B-glas geschliffen wird, im Durchmesser hat. Andere (wie z.B. das Taubertsche optische Institut in Leipzig) bestimmen die Nummern nach der Brennweite des Glases od. Hohlspiegels von gleichem Durchmesser, wie die Krümmung des Glases ist. Außer B-n mit farblosem Glase hat man deren auch von grünem u. blauem Glas, doch nur für kranke Augen u. bei besonderen Fällen, wie gegen Schnee, in sehr erleuchteten Sälen, gegen scharfes Sonnenlicht; ebenso Bernsteinbrillen, wo das Medium der B-n aus Bernstein geschliffen ist; räthlich sind davor zu klappende Plangläser (isochromatische B-n). Staarbrillen sind sehr convexe Gläser, um die aus dem Auge od. der Sehachse entfernte Krystalllinse zu ersetzen. Die meisten Staarkranken werden nach der Staaroperation weitsichtig, nur sehr Kurzsichtige erleiden eine Verbesserung des Gesichts. Um nun dieser Weitsichtigkeit abzuhelfen, werden Gläser von 4 Zoll Brennweite angewendet, wodurch die brechende Kraft der Krystalllinse ersetzt wird. Zuweilen ist für jedes Auge ein besonderes Glas erforderlich. Die von Wollaston erfundenen periskopischen Gläser erreichen den Zweck, daß man durch dieselben auch seitwärts mit fast gleicher Deutlichkeit, wie in der Mitte sieht, dadurch, daß die Gläser mit linearer Unterbrechung der Krümmung von dem Centrum nach der Peripherie aus, also nicht nach einem u. demselben Kugelsegment, in gleichmäßigen Abtheilungen od. auf der einen Seite convex u. auf der andern weniger geschliffen sind. Die von Galland von Cherneux erfundenen Brillengläser bilden an jeder ihrer Flächen das Segment eines Cylinders, doch so, daß sich diese Segmente mit ihren Achsen u. Oberflächen quer durchkreuzen. Ihre Peripherie bildet gewöhnlich ein Achteck. Die Brillengläser wurden sonst gegossen, jetzt gleich vorzüglich, wie andere Glassachen (s. Glasschleifen), über kupfernen Schalen, mit Schmirgel geschliffen u. nicht mehr wie sonst auf der Nase (Nasenquetscher), sondern mittelst eines Gestelles hinter den Ohren befestigt. Neuerdings hat man verbesserte Nasenquetscher in seinem Horngestell mit dünner Spannfeder wieder eingeführt, man trägt sie an einem Bändchen um den Hals. Sie kommen als Handelsartikel bes. aus Nürnberg, Fürth, Augsburg, London, Paris, u. sind in Stahl (oft sehr sein u. blau angelaufen), plattirtes Metall, Schildkrot, Horn od. Silber, vergoldetes Silber u. Gold gefaßt. Eine vorzügliche Fassung ist in gebohrten Löchern, am Rand der Brillengläser, mit Hinweglassung der Umrandung der Gläser selbst. Die Gläser müssen weiß u. farblos, ohne Körnchen, Grübchen, Ritze u. Wirbel sein u. überall sich gleich gewölbt anfühlen lassen. – Die Alten kannten die B. nicht. Die erste Spur von Vergrößerungs-B-n kommt in der Optik des Arabers Alhazan im 11. Jahrh. vor; Rog. Bacon (st. 1284) spricht ziemlich weitläuftig von dieser Vergrößerung; die wirklichen B-n scheinen daher zwischen 1280–1311 erfunden zu sein. In einer Grabschrift von 1317 zu Florenz wird auch Salvino degli Armati als Erfinder genannt, obgleich von dem Mönch Alexander della Spina (st. 1313 in Pisa) gerühmt wird, daß er die B-n gekannt u. ihre Erfindung Andern gern mitgetheilt habe. 1482 wird schon ein Brillenmacher in Nürnberg angetroffen. Anfangs brauchte man sie[313] nur in äußerster Noth u. nur die convexen. Die Spanier machten zuerst hiervon eine Ausnahme, u. es war dort Mode, auch wenn man nicht an Augenschwäche litt, B-n zu tragen. Gegen Ende des 18. Jahrh. verbreiteten sie sich auch im übrigen Europa, u. das Tragen concaver B-n ist jetzt, um entfernte Gegenstände deutlich zu sehen, allgemein geworden. Im Allgemeinen kann als Regel gelten, daß man stets eine um etwas (nur nicht viel) schwächere Brille nimmt, als man eigentlich brauchen könnte, u. daß das Gestell so beschaffen ist, daß die beiden Augen gerade durch den Mittelpunkt der Gläser sehen. Besondere Arten von Brillen sind: a) die Schielbrillen, von Blech mit einem kleinen Löchelchen in der richtigen Sehachse, um den Augen eine richtige Stellung anzugewöhnen, jedoch ohne besonderen Vortheil, indem der Kranke alsdann mit einem Auge sieht u. dem anderen noch mehr schadet; b) die Malerbrillen mit halb getheilten Gläsern (die obere Hälfte schärfer als die untere), zum Abzeichnen ferner Gegenstände, sie greifen die Augen an; c) die Staubbrillen mit dem Gesicht anschließender Zeugbekantung der Fassung; d) die Drahtsiebbrillen, den Augen zum Schutz bei Arbeiten, wo kleine scharfe Körperchen umherfliegen, z.B. beim Hauen an Steinen u. Meißeln an Gußeisen; e) Maskeradebrillen, ein Drahtgestelle mit Bandraupen verziert, ohne Gläser.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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