Heimathsrecht

Heimathsrecht

Heimathsrecht, 1) im weiteren Sinne gleichbedeutend mit Unterthansrecht od. den Rechten, welche aus der Staatsangehörigkeit überhaupt fließen; 2) im engeren Sinne das Recht eines Staatsangehörigen in einem bestimmten Bezirke des Staates (Heimathsbezirk) sich ständig aufhalten zu dürfen u. im Falle der Hülfsbedürftigkeit Unterstützung zum nothwendigsten Lebensbedarf zu erhalten. Die Regelung der Heimathsverhältnisse ist erst in neuerer Zeit als ein Bedürfniß hervorgetreten, seitdem man dem Armenwesen eine größere Sorgfalt zuwendete u. das Verfahren gegen Vagabunden, Bettler etc. strenger wurde. Indem man als den besten Schutz gegen umherstreichendes Gesindel nicht sowohl, wie früher geschah, die Exilirung derselben, als vielmehr die Cousinirung derselben auf einen festen Wohnsitz erkannte, mußte man nothwendig dazu gelangen, über die Bedingungen, unter denen einem Bezirke die Verpflichtung aufzuerlegen sei, verarmte Personen aufzunehmen, festere Grundsätze aufzustellen. Auf diese Weise sind nicht blos in den einzelnen Staaten verschiedene Heimathsgesetze (z.B. Baierisches Gesetz vom 11. Sept. 1825 u. 1. Juli 1834, Badisches Gesetz vom 31. Dec. 1831, §. 70–80, Altenburgisches Gesetz vom 19. Febr. 1833, Weimarisches Gesetz vom 11. April 1833, Königlich Sächsisches Gesetz vom 26. Nov. 1834, Lippisches Heimathsgesetz vom 2. März 1841) entstanden, sondern es traten auch die verschiedenen Staaten zu Heimathsconventionen zusammen, in denen über die bei Übernahme lästig gewordener Personen einzuhaltenden Regeln Vereinbarungen getroffen wurden. In neuester Zeit sind diese letzteren Conventionen durch eine allgemeine Convention, welche zunächst zwischen Preußen, Baiern, Sachsen u. mehreren kleineren deutschen Staaten in Gotha am 15. Juli 1851 geschlossen wurde u. welcher nach u. nach auch alle übrigen deutschen Staaten, mit Ausnahme Österreichs, beigetreten sind, verdrängt worden. In fast allen Heimathsgesetzen ist hierbei als Heimathsbezirk die Ortsgemeinde angenommen worden, so daß, wer zur Ortsgemeinde gehört, zugleich auch in derselben heimathshörig ist. Da aber die Lage der Ortsgemeinden zu verschieden ist, als daß durch die Anwendung des gleichen Grundsatzes nicht Ungleichheiten hervorgerufen würden, die sich namentlich in der übergroßen Belastung der städtischen Gemeinden durch den Armenaufwand, gegenüber den ländlichen Districten, klar herausstellen; so sind die Bestrebungen in neuester Zeit darauf gerichtet, einen Mittelbezirk, welcher zwischen Gemeinde u. Staat stände, als Grundlage des H-s anzunehmen. Der Erwerb des H-s erfolgt a) durch förmliche Aufnahme in den Heimaths- (Gemeinde-) Bezirk; b) durch Geburt von heimathsberechtigten Eltern, so daß ein eheliches an dem Orte, wo der Vater, ein uneheliches an dem Orte, wo die Mutter heimathsberechtigt ist, das H. erlangt; c) durch gesetzmäßige Verheirathung erwirbt die Ehefrau das H. ihres Mannes; d) in Folge einer höheren Zuweisung kann das H. bei Staats-, Kirchen-, Schul-, Militär- u. Hofdienern am Orte ihrer Berufsausübung entstehen, wenn nicht der Aufenthalt selbst nur als ein vorübergehender zu betrachten ist. Das einmal erworbene H. dauert dann so lange, bis dem Berechtigten anderwärts ein neues H. begründet ist. Über die Behandlung wirklicher Heimathsloser, d.h. solcher Personen, welche den Besitz eines wirklichen H-s an einem bestimmten Orte nicht nachweisen können, bestimmt die Convention vom 15. Juli 1851, daß zunächst derjenige Staat zur Übernahme verpflichtet ist, in dessen Gebiet der Heimathslose entweder nach zurückgelegtem 21. Lebensjahre sich zuletzt 5 Jahre hindurch aufgehalten od. sich verheirathet u. mit seiner Ehefrau unmittelbar nach der Eheschließung eine gemeinschaftliche Wohnung mindestens 6 Wochen innegehabt hat; wo keiner dieser Fälle stattfindet, entscheidet die Geburt. Um das H. aber nicht zu einem ertödtenden Zwange werden zu lassen, mittelst dessen der Bewohner eines Ortes sammt seinen Angehörigen immer an dieselbe Wohnstätte gebunden werden könnte, müssen den Heimathsbestimmungen gesetzliche Bestimmungen über Freizügigkeit gegenüberstehen, welche dem Staatsangehörigen die Freiheit offen lassen, gegen Erfüllung der allgemeinen Staatsdienerpflichten, seinen vorübergehenden od. bleibenden Aufenthalt auch an einem anderen Orte des Staatsgebietes zu nehmen, u. welche der anderen Gemeinde das Recht benehmen, ohne genügenden Grund die Zurückweisung in den Heimathsbezirk zu decretiren. Bei längerem, ständigem Aufenthalt an einem anderen Orte wird dann in der Regel ein Heimathsschein erfordert, d.h. eine beglaubigte Urkunde der Behörde des Heimathsbezirks, durch welche die Zusicherung ertheilt wird, daß Derjenige, auf welchen die Urkunde gestellt ist, an dem Orte heimathsberechtigt sei u. zu jeder Zeit daher daselbst wieder Aufnahme finde.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

Игры ⚽ Поможем написать курсовую

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Sachsen [3] — Sachsen (Gesch.). I. Sachsen Wittenberg unter den Askaniern als Herzöge u. Kurfürsten von S. 1180–1422. Bernhard von Askanien, welcher von seinem Vater Albrecht das Land um Wittenberg erhalten hatte u., nachdem ihm nach der Auflösung des… …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Призрение общественное — может быть определено как культурная форма благотворительности (см.). Первичная форма последней есть подаяние милостыни нищему, встречающееся в самые отдаленные времена, например уже в эпоху, описываемую Гомером, и впоследствии возведенное в… …   Энциклопедический словарь Ф.А. Брокгауза и И.А. Ефрона

  • Deutschland [4] — Deutschland (Gesch.). I. Älteste Geschichte bis zur Völkerwanderung. Die ersten historischen Nachrichten, die wir über germanische Völkerschaften besitzen, rühren von Cäsar her, später berichtet Plinius über dieselben. Beider Angaben sind aber… …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Revers — (v. lat.), 1) jede schriftliche Versicherung, worin Jemand die Übernahme einer Verbindlichkeit für die Zukunft entweder unbedingt od. wenn gewisse Voraussetzungen eintreten, übernimmt; daher Reversalien (lat. Reversales sc. literae), die Urkunde …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Tod [1] — Tod (Mors), das Ende des individuellen Lebens; der Zustand, wo der Organismus des Individuums durch das Aufhören des normalen Stoffwechsels u. der auf demselben beruhenden Lebensprocesse der ihm inwohnenden, ihn erhaltenden Kräfte u. dadurch… …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Vaterland — Vaterland, 1) das Land, worin der Vater eines Menschen zur Zeit der Geburt des Letzteren seinen Wohnsitz hatte; 2) das Land, wo Jemand geboren ist; 3) das Land, wo Jemand seinen Wohnsitz hat, s. Heimathsrecht; 4) das Land, in welchem gewisse… …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Veräußerung — (lat. Alienatio), 1) im weitesten Sinne jede Positive od. negative Handlung, wodurch man ein Recht aufgibt, so daß z.B. auch ein Verzicht darunter fällt; 2) im engeren Sinne die freiwillige Übertragung eines Rechtes, insbes. des Eigenthums, auf… …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Wittwe [1] — Wittwe (Vidua), eine ihres zeitherigen Ehemannes durch den Tod beraubte Ehefrau. Die W. behält in der Regel auch nach dem Tode des Ehemannes den Gerichtsstand, Rang u. das Heimathsrecht ihres verstorbenen Gatten bei, so lange sie sich nicht… …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Wohnrecht — Wohnrecht, so v.w. Heimathsrecht …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Württemberg [2] — Württemberg (Gesch.). W. war in den ersten christlichen Jahrh. von Sueven bewohnt; diese wichen den Römern, welche dann das Land cultivirten, dasselbe aber nachher an die Alemannen verloren; nach der Niederlage der Alemannen durch die Franken bei …   Pierer's Universal-Lexikon

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”