Geburt [1]

Geburt [1]

Geburt, 1) bei den Säugethieren die Thätigkeit, welche, nachdem die Gebärmutter im Fortgange der Schwangerschaft bis zu einem gewissen Grad erweitert u. vergrößert worden ist, in dieser erwacht, um durch ein eigenthümliches, der Muskelkraft entsprechendes Vermögen den in ihr aufgenommenen u. ausgebildeten Embryo durch die Mutterscheide auszutreiben. Diese Zusammenziehungen treten bei den Menschen periodisch ein, nehmen in ihrem Wiederkehren immer mehr zu u. sind mit Schmerzen (Wehen) begleitet. I. Die natürliche od. regelmäßige G. tritt gewöhnlich mit dem Ende der 40. Woche der Schwangerschaft ein (bei Erstgebärenden 8–14 Tage früher, vgl. Geburtszeit). Sie beginnt damit, daß der noch übrige kleine Theil des Gebärmutterhalses völlig verstrichen (ohne Wulst) wird. Durch mäßige, immer häufiger werdende (vorhersagende) Wehen wird dies allmälige Verstreichen in der ersten Periode der G. bewirkt, die mehrere Stunden, wohl einen Tag u. darüber dauern kann. Durch die allmälig steigenden u. in kürzeren Zeiten wiederkehrenden vorbereitenden Wehen wird in der zweiten Periode der Muttermund immer mehr erweitert; die gepreßten Eihäute (s.u. Ei) dringen theilweise, von dem in ihnen enthaltenen Schafwasser gespannt, als eine halbkugelförmige Blase ein; zugleich entstehen durch die immer gewaltsameren Wehen leichte Einrisse in den allmälig bis zur Stärke eines Kartenblattes verdünnten Rand des Muttermundes, u. es mischen sich blutige Streifen in den zugleich reichlich abfließenden Schleim der Mutterscheide. Nun zerreißt eine der stärkeren Wehen die aufs äußerste gespannte Blase u. das Wasser fließt aus. Die nun immer stärkeren Wehen werden als Treibwehen (eigentliche wahre Wehen, während man die bisherigen als falsche bezeichnet), sowie die nun beginnende dritte Periode als die des Wassersprungs bezeichnet. Der Kopf tritt nun an die Stelle der Blase in den Muttermund (steht in der Krönung); die Wehen u. der Drang dazu werden so heftig, daß auch unwillkürlich die Gebärende zum Mitpressen durch die Bauchmuskeln u. durch die des Zwerchfells genöthigt wird. Das Bemühen hierzu, unter Einstemmen von Händen u. Füßen, ist die Geburtsarbeit (das Verarbeiten der Wehen).[35] Die Gebärmutter drückt nun unmittelbar auf das zur G., in der Regel mit dem Kopfe, sich stellende Kind. Nun zeigt das Kind sich auch äußerlich in der Schamspalte (der Kopf schneidet ein); es beginnt unter den heftigsten u. erschütternden Wehen (Schüttelwehen) der Durchgang des Kopfes durch die Scheide u. die äußeren Geschlechtstheile (der Kopf ist im Durchschneiden), u. der Kopf des Kindes wird geboren. So bei regelmäßigen Fällen, allein auch bei diesen kann die Stellung des Kopfes eine vierfache sein, nämlich: a) als erste Kopflage, wenn die kleine Fontanelle über der linken Hüftpfannengegend, die große nach der rechten Hüft- u. Kreuzbeinverbindung zu, die Hinterseite des Körpers nach vorn u. links liegen; od. b) wenn als zweite Kopflage die kleine Fontanelle über der rechten Pfannengegend, die große an der linken Vereinigung des Hüft- u. Kreuzbeins liegt, die Hinterseite des Körpers nach vorn od. rechts gerichtet ist; od. c) als noch seltener, dritte Kopflage, wenn die kleine Fontanelle über der rechten Vereinigung des Hüft- u. Kreuzbeins, die große hinter u. über der linken Pfanne steht, die Hinterseite des Körpers nach hinten u. rechts gewendet ist; od. d) als vierte Kopflage, eben so selten, wenn die kleine Fontanelle über der linken Vereinigung des Hüft- u. Kreuzbeins, die große über u. hinter der rechten Pfanne steht, die Hinterseite des Körpers hinterwärts u. links gerichtet ist. Die erste u. zweite Kopflage sind für Mutter u. Kind die leichtesten u. gefahrlosesten, die beiden, letzten gehören schon mehr zu den widernatürlichen, als zu den natürlichen. Das Einkeilen des zu großen Kindskopfes in das zu enge od. mißgestaltete Becken ist ein Hinderniß der natürlichen G.; es verlangt entweder die Anlegung der Zange, od. bei einem todten Kinde die Enthirnung des Kopfes. Nachdem der Kopf geboren ist, folgt der Rumpf in der Regel leicht von selbst. Zögert er, so kann durch das Einsetzen eines Zeigefingers in eine der Achselhöhlen des Kindes nachgeholfen werden. Hiermit ist die vierte Periode beendet. Oft tritt aber der Fall ein, daß nicht der Kopf, sondern andere Theile zuerst kommen, so: a) bei der Gesichtsgeburt, hier stellt sich das Gesicht ebenfalls in vier den Kopflagen entsprechenden Richtungen zur G. voran; b) bei der Seitenlage des Kopfes (Ohrlage), hier geht eine Seite des Kopfes voran; c) bei der Fußgeburt (Partus agrippinus); d) bei der Steißgeburt (Partus clunibus praeviis); e) bei der Scheitelgeburt; f) bei der Stirngeburt; g) bei der Kniegeburt, wo die genannten Theile vorangehen; h) bei der Zwillingsgeburt, wo Zwillinge od. Drillinge etc. erfolgen. Nach der Geburt des Kindes erfolgt meist eine längere Ruhe der Gebärenden; aber bald treten die in der Regel weit gelinderen Nachgeburtswehen ein, die ein Lostrennen der Nachgeburt von der Gebärmutter, unter Ausfließen von Blut, bewirken, worauf dann auch diese ohne Beihülfe ausgepreßt wird, od. leicht an der Nabelschnur, mit den umgestülpten Eihäuten, aus dem Körper gezogen werden kann. Dieser Vorgang wird auch als eine fünfte Periode bezeichnet, s. unter Nabelschnur u. Nachgeburt. Als Folge der G. tritt das Wochenbett ein, wo unter späteren Wehen (Nachwehen) immer noch Rückstände der Nachgeburt nach u. nach abgehen. Bei dem Verlauf der unregelmäßigen Geburten, die bes. in Mißbildungen des Beckens, Schiefe od. anderen Fehlern der Gebärmutter, Mißgestaltung des Embryos, falscher Lage desselben, od. in Krankheitszuständen der Gebärenden ihren Grund haben, muß in der Regel Kunsthülfe eintreten.

II. Unregelmäßige Geburten entstehen aber A) durch krankhafte Zustände der Mutter, Schwäche derselben, Asthma, Blutungen, Erbrechen, Schluchzen, fehlerhafte Bildung derselben, Krankheiten u. Fehler der Geburtstheile, Fehler des Beckens, als Verengungen etc., Mangel od. üble Beschaffenheit der Wehen; B) durch kranthafte Zustände des Kindes u. seiner Theile, als Mißbildungen desselben verschiedener Art, Wasserkopf, zu dicke Eihäute, zu kurze od. zu lange Nabelschnur, Umschlingung, Knoten, Vorfall, Zerreißung derselben, Aufsitzen des Mutterkuchens auf dem Muttermunde od. in dessen Nähe, zu feste Verbindung derselben mit der Gebärmutter, zu vieles Fruchtwasser etc.; C) durch regelwidrige Lage des Kindes, wobei Kopf u. Füße sich in beiden Seiten der Gebärmutter in gleicher Höhe befinden, Querlage, od. der eine od. der andere Endtheil höher als der andere, Schieflage. Nach den auf diese Weise vorliegenden Theilen unterscheidet man: a) Halslagen; b) Brustlagen, die häufigsten fehlerhaften Kindslagen; c) Unterleibs- od. Bauchlagen; d) Beckenlagen; e) Armlagen wieder in unvollkommene Armlage, wo nur ein Arm durch den Muttermund tritt, u. vollkommene Armlage, wo beide Arme eintreten getheilt; f) die Schulterlagen. Die sämmtlichen falschen Kindslagen erheischen die Wendung (s.d.). D) Hinsichtlich der Zeit widernatürliche Geburten sind: a) die zögernde, zu langsame G., wo aus irgend einer Ursache, vorzüglich wegen zu schwacher od. mangelnder Wehen, die G. zu langsam vor sich geht, u. für Mutter od. Kind od. Beide Gefahr entsteht; b) die übereilte G., wo die Wehen zu heftig wirken; c) die Spätgeburt (Partus serotinus), wo die G. erst nach der 44. Schwangerschaftswoche erfolgt; d) die Frühgeburt (Fehlgeburt), wo sie aa) vor der 16. Schwangerschaftswoche erfolgt, die eigentliche Fehlgeburt (Abortus); bb) die unzeitige G. (Partus immaturus), wo dies zwischen der 17. u. 28. Schwangerschaftswoche geschieht u. das Kind noch nicht lebensfähig ist; cc) von der 29. bis 37. Schwangerschaftswoche (Partus praematurus), wo das Kind lebensfähig ist. Über den der Gebärenden zu leistenden Beistand selbst s. Entbindung. Vgl. E. H. Wigand, Die Geburt des Menschen, 2. Aufl. von Froriep, Berl. 1839, 2 Bde. Thiere gebären im Allgemeinen leicht, die meisten liegend, einige, wie Stuten, stehend, doch wohl alle lebendig gebärende nicht ohne Schmerz. Die Hausthiere, die veredelt, aber auch zugleich verweichlicht worden sind, leiden meistentheils etwas mehr bei dem Gebären, nicht selten kommen auch bei ihnen schwere Geburten vor, die Hand- u. andere Hülfsleistungen erheischen, die bei jeder Thierart verschieden sind.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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