- Kindesmord
Kindesmord (Infanticidium), das Verbrechen, welches die Mutter eines unehelichen Kindes dadurch begeht, daß sie dasselbe während od. gleich nach der Geburt vorsätzlich tödtet. Obschon der K. seinem Wesen nach unter den allgemeineren Begriff des Verwandtenmordes fällt, so wird derselbe doch in allen neueren Criminalgesetzgebungen als besonderes, milder zu bestrafendes Verbrechen angesehen, indem dabei die Rücksicht vorwaltet, theils daß gewöhnlich der That die Absicht, die verlorene Geschlechtsehre zu retten, od. drängende Noch zu Grunde liegt, theils auch die Gebärende zur Zeit der That sich oft in einem Zustande der Nervenaufregung befindet, welcher die Zurechnung beschränkt. Da nicht immer diese Gründe der mindern Strafbarkeit des Verbrechens zugleich u. in gleicher Stärke vorhanden sind, so gestatten die Strafgesetze dem Richter für die Bestrafung der Verbrecherin einen möglichst weiten Spielräume Bei der Feststellung des Thatbestandes ist besonders zu berücksichtigen, daß a) die Mutter allein von dem milderen Gesetze getrosten wird. Jede andere Person, welche bei der Verübung des Verbrechens durch Verleitung, Theilnahme od. Unterstützung mitwirkte, ist daher nach den allgemeinen Grundsätzen über Mord u. Todtschlag zu bestrafen; b) nur an dem unehelichen Kinde ist das besondere Verbrechen des K-s denkbar, weil nur bei der unehelichen Geburt die besondern Gründe für die mildere Bestrafung Platz greifen. Als unehelich gilt übrigens nicht bloß das Kind einer Unverheiratheten, sondern auch das Kind, welches eine Ehefrau außerehelich von einem Andern, als dem Ehemanne, empfangen hat. Eine Ausnahme von diesem sonst in allen Gesetzgebungen festgehaltenen Grundsatz machen nur das Österreichische u. das Braunschweigische Gesetzbuch, indem diese auch die Tödtung eines ehelichen Kindes unter den K. stellen, jedoch mit der Nebenbestimmung, daß bei der Tödtung eines unehelichen Kindes mildere Strafe eintreten soll. c) Das Kind muß gelebt haben; nicht erforderlich! ist dagegen, daß es auch lebensfähig, d.h. zu einem längeren Fortleben ausgerüstet gewesen sei. Doch bestrafen die meisten Gesetzgebungen die Tödtung eines nicht lebensfähigen Kindes insofern gelinder, als sie bei der Tödtung eines solchen Kindes entweder nur die Strafe eines versuchten K-s eintreten lassen (wie z.B. Baden, Darmstadt) od. (wie das königlich Sächsische Gesetzbuch) die Strafe auf! die Hälfte herabsetzen. d) Die Tödtung muß entweder während der Geburt, od. doch so bald nachher geschehen, daß der geistige u. körperliche Zustand der Erregtheit der Gebärenden, welcher die That in milderem Lichte erscheinen läßt, noch als fortdauernd angenommen werden kann. Als Endpunkt dieses Zeitraumes nehmen die meisten neueren Gesche den Verlauf von 24 Stunden nach dein Geburtsact an; nur das baierische Gesetzbuch dehnt diese Grenze auf 3 Tage aus. e) Die Tödtung muß vorsätzlich geschehen sein, so daß blos culpose Tödtungen nicht unter den Begriff des K-s fallen, sondern nur mit der Strafe fahrlässiger Tödtung zu bestrafen sind. f) Außerdem stellt noch die Peinliche Gerichtsordnung als Requisit des Thatbestandes das Erforderniß der Heimlichkeit der Tödtung auf, was auch das neuere Hannoversche Gesetzbuch zugleich mit dem Erforderniß einer Verheimlichung der Schwangerschaft wieder angenommen hat. Die Strafe des vollendeten K-s ist nach der Peinlichen Gerichtsordnung (Art. 131) das Ertränken, bei dem Überhandnehmen des Verbrechens soll sogar noch die Anwendung der altdeutschen Gewohnheit, die Kindesmörderinnen lebendig zu begraben u. einen Pfahl durch sie zu schlagen, nicht ausgeschlossen sein. Der neuere Gerichtsgebrauch u. in Übereinstimmung damit auch die neueren Gesetzbücher haben überall die Todesstrafe außer Anwendung gebracht u. drohen statt derselben nur mehrjähriges Zuchthaus, in den schwersten Fällen bis 20 od. 25 Jahren an. Als erschwerende Rücksichten kommen bei der Strafausmessung in Betracht, wenn der Vorsatz, das Kind zu tödten. schon während der Schwangerschaft gefaßt wurde, od. die Mutter eine öffentliche Dirne war, weil damit das Motiv, die Geschlechtsehre zu wahren, hinwegfällt; eine strafmindernde Rücksicht wird von manchen Gesetzen außer der Lebensunfähigkeit des Kindes noch darin gefunden, daß das Kind aus einer Nothzucht stammte. Vgl. Wurzer, Bemerkungen über den K., Lpz. 1822; Gaus, Von dem Verbrechen des K-s, Hannov. 1824; Jordan Über Begriff u. Strafe des K-s, Heidelb. 1844.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.