Darmstadt [1]

Darmstadt [1]

Darmstadt, 1) Großherzogthum, s. Hessen-Darmstadt; 2) Kreis darin, in der Provinz Starkenburg; 54,800 Ew.; 3) Hauptstadt des Großherzogthums Hessen u. der Provinz Starkenburg, im Kreise D., an dem Bache Darm u. dem Anfange der Bergstraße, besteht aus der finsteren u. winkeligen Altstadt, mit der Pankratius-, Dieburger u. Bessungervorstadt, u. der schönen u. regelmäßigen Neustadt, mit der sehr breiten Rhein- u. Neckarstraße u. dem achteckigen Luisenplatz, in dessen Mitte seit 1844 die Denksäule des Großherzogs Ludwig I. sammt dessen ehernem Standbilde zu der Höhe von 120 Fuß sich erhebt; den Theaterplatz zieren seit 1853 die Bildsäulen der Landgrafen Philipp des Großmüthigen u. Georgs I. D. ist Residenz des Großherzogs, Sitz der obersten Landesbehörden, eines Stadt- u. Landgerichtes u. den Behörden der Provinz Starkenburg. Merkwürdige Gebäude: Großherzogliches Residenzschloß, ein weitläufiger Bau, 1568 begonnen, mit einem Glockenspiel auf dem Glockenbau; in dem 1715 abgebrannten, dann wieder aufgebauten südwestlichen Theile ist die Gemäldegallerie, die Antiquitäten-, Münz-, Waffen u. Trachtensammlung, Abgüsse antiker Bildsäulen u. Büsten, phelloplastische Modelle antiker Ruinen, die Naturaliensammlung (bes. wichtig die urweltlichen Petrefacten), das Cabinet mathematischer u. physikalischer Werkzeuge, die Bibliothek von 300,000 Bänden (darunter an 4000 Handschriften u. viele Incunabeln), desgl. das Staatsarchiv u. die Hauptstaatskasse; großherzogliches Palais an dem Luisenplatz, Residenz des verstorbenen Großberzogs Ludwig II.; ferner Hoftheater (1819 erbaut u. 1900 Zuschauer fassend), Marstall, Ständehaus, 2 Collegienhäuser, Zeughaus, früher Exercierhaus, 1771 von Schuhknecht erbaut, 309 Fuß lang, 145 breit u. 86 hoch, mit aus einem Sprengwerk gebauten Dache, im Innern nur einen Saal, den größten in Deutschland bildend, Infanterie-, Artilerie- u. Reitercaserne, Freimaurerloge (St. Johannes der Evangelist zur Eintracht), Casinogebäude etc.; unter den 4 Kirchen die Stadtkirche, mit dem fürstlichen Begräbnißgewölbe unter derselben, u. die katholische Kirche, nach Art der Rotonda in Rom erbaut, mit 28 korinthischen Säulen u. nur einem kolossalem Fenster in der Mitte der Kuppel; die Synagoge. Wissenschaftliche u. Unterrichtsanstalten: Historischer Verein, Geographischer Verein, Botanischer Garten, Gymnasium, Realschule, höhere Gewerbschule, Militärschule. Wohlthätigkeits- u. sonstige Anstalten: Ludwigs- u. Luisenstiftung (Töchterversorgungsanstalt, 1827 bei der 50jährigen Jubelhochzeit des großherzoglichen Paares gestiftet), Wilhelminenstiftung (Privatwittwen- u. Waisenanstalt), Krankenhaus, Militärlazareth, das 1857 erbaute Diakonissenhaus, Bibelgesellschaft, Leihhaus, Correctionshaus, Arresthaus. Industrie: Eisengießerei, Eisenmaschinen-, Tapeten-, chemische, Bijouterie-, Kutschen-, Spielkarten-, Buntpapier-, Tabaks-, Zündhölzer-, Hutfabriken, Schönfärbereien, Bierbrauereien, Buchdruckereien sind 15. Buchhandlungen 7 (die Leskesche verlegt die Kirchen-, Schul- u. Militärzeitung), 10 lithographische Anstalten. Seit 1854 Sitz der Bank für Handel u. Industrie, u.[751] seit 1856 der Bank für Süddeutschland (Zettelbank); 27,200 Ew., worunter 2900 Katholiken, 200 Deutschkatholische u. 570 Juden. Als Vorstadt betrachtet man auch das an D. sich anschließende Dorf Bessungen, mit 3800 Ew. u. der großherzoglichen Orangerie, hat aber eigene Bürgermeisterei; es besaß schon 1002 eine Kirche, in welche D. eingepfarrt war. Im Westen der Stadt ist der Bahnhof u. ein sehr großer Exercierplatz, im Osten ein von Georg I. angelegter Teich, der große Woog, u. 3/4 Stunde nordwestlich das Jagdschloß Kranichstein, in welchem Landgraf Ludwig VIII. residirte. Der Karlshof, die Ludwigshöhe etc. sind Vergnügungsörter; der Schloßgarten (Herrengarten) enthält das Grabmal von Karoline, Gemahlin Ludwigs IX., mit einer von Friedrich d. Gr. geweihten Marmorurne. Bes. angenehme Spaziergänge bieten die nahen u. schönen Buchwälder, mit Anlagen auf reizenden Höhepunkten. In D. u. der Umgegend baut man vorzüglichen Spargel. – An der Stelle der Altstadt stand wahrscheinlich schon ein gegen die Alemanen angelegtes Römercastell; für das Dorf D., das im 11. Jahrh. zum ersten Mal genannt wird, erwarb 1330 Graf Wilhelm I. von Katzenelnbogen vom Kaiser Stadtrechte; mit dem Aussterben des Hauses Katzenelnbogen 1479 kam D. durch Heirath an Hessen; 1518 belagerte es Franz von Sickingen u. verheerte die Umgegend; Landgraf Georg I., Stifter der Linie Hessen-D., erwählte 1567 D. zur Residenz u. baute an die Stelle des alten, 1546 von den Kaiserlichen eroberten u. mit Pulver in die Luft gesprengten Schlosses ein neues; 1622 wurde D. von Mansfeld genommen u. Ludwig V. mit seinen 2 Prinzen gefangen; 1647 von den Franzosen erobert. Seit der Landgraf von Hessen-D. zum Großherzog erhoben wurde, wuchs bes. unter Ludwig I. die Stadt ungemein; denn noch 1794 hatte sie nur 6700 Ew., also nicht 1/4 der jetzigen Einwohnerzahl. Hier fanden 1820–22 mehrere Berathungen zwischen Bevollmächtigten der süddeutschen Staaten statt, um ein gemäßigtes Mauthsystem u. gemeinschaftliche Zölle zu besprechen (Darmstädter Handelscongreß), die Ausführung der Pläne stieß sich indessen an die Verschiedenheit des Interesses, u. so ist jener Plan vereitelt worden; doch bildet er die Grundlage zu dem 1828 zuerst vom Großherzogthum Hessen mit Preußen abgeschlossenen Zollverein. Hier im Mai 1845 Versammlung der süddeutschen Forstwirthe; im Sept. 1845 Versammlung der deutschen Philologen u. Orientalisten; am 21. Sept. 1847 Hauptversammlung des Gustav-Adolf-Vereins; im April 1852 Zollconferenzen um eine süddeutsche Coalition zu Stande zu bringen (ohne Resultat); am 18. Sept. 1854 Eröffnung des Zollcongresses; am 31. Aug. 1856 Feier des ersten Mittelrheinischen Musikfestes. Vgl. Adreßbuch u. kurze Geschichte von D., Darmst. 1819 u. 1821; Pauli, Gemälde von D., ebd. 1821; Zehfuß, Alterthümlichkeiten von D., ebd. 1822; Wagner, Geschichte u. Beschreibung von D., ebd. 1945; Walther, Der Darmstädter Antiquarius, ebd. 1997; Plan von D., von Louis.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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