- Volksversammlung
Volksversammlung, eine allgemeine, zur Besprechung öffentlicher Angelegenheiten abgehaltene Versammlung, an welcher Theil zu nehmen Jedermann freisteht. Durch den angedeuteten Zweck unterscheidet sich die V. von solchen öffentlichen Vereinigungen, bei denen sich eine unbeschränkte Menge nur zu Vergnügungen, zu Andachtsübungen u. dgl. zusammengefunden hat. So wenig die Abhaltung von V-en auch zu politischen Zwecken einem freien Volke ganz versagt werden darf u. so wenig zu verkennen ist, daß sie da, wo es gilt die ganze Masse des Volkes für eine große Idee, z.B. die Vertheidigung des Vaterlandes gegen einen äußeren Feind, zu entflammen, bei verständiger Leitung von größter [663] Bedeutung für das Interesse des Staates werden können, so große Gefahren bietet doch andererseits ihr Mißbrauch, wenn sie, namentlich in Zeiten innerer unruhiger Bewegungen, von Demagogen u. übelwollenden Leuten dazu benutzt werden, um die Leidenschaften des Volkes aufzuregen u. die Kämpfe der Parteien auch in die untersten Volksschichten zu verbreiten. Es gebietet daher die Notwendigkeit, daß der Staat über die V-en ebenso, wie über die Vereine (s. Association), eine Aufsicht übe, deren Grenzen in den verschiedenen Zeiten verschieden gezogen worden sind. Bis zum Jahre 1848 war in Deutschland zur Abhaltung einer V. überall eine besondere polizeiliche Erlaubniß notwendig. Als die Französische Julirevolution von 1830 ihre Wirkungen auch auf Deutschland äußerte, wurde es durch einen Bundesbeschluß vom 5, Juli 1832 zur allgemeinen Regel erhoben, daß V-en u. Volksfeste, welche bisher nicht üblich gewesen seien, nur mit Genehmigung der Landesregierung abgehalten werden dürften; auch bei erlaubten V-en aber sollten bei Strafe keine Reden politischen Inhalts gehalten u. keine Adressen u. Beschlüsse vorgeschlagen u. genehmigt werden. In den Bewegungen des Jahres 1848 wurde dagegen, nach dem Vorgange Frankreichs, eine unbeschränkte Freiheit zu Abhaltung von V-en in Anspruch genommen u. in den meisten Staaten auch wirklich eine Zeit lang durchgesetzt. Sehr bald sah man sich jedoch, wie selbst in Frankreich, zu Beschränkungen dieser Freiheit genöthigt. Die Verfassung des Frankfurter Parlaments Art. 8 bestimmt zwar, daß die Deutschen das Recht haben sollten sich friedlich u. ohne Waffen zu versammeln u. daß es dazu einer besonderen Erlaubniß nicht bedürfe; doch wurde bezüglich der V-en unter freiem Himmel bereits ausgesprochen, daß dieselben bei dringender Gefahr für die öffentliche Ordnung u. Sicherheit verboten weiden könnten. Der Entwurf des Erfurter Unionsparlamentes unterwarf schon allgemeiner V-en unter freiem Himmel in Bezug aus vorgängige Erlaubnis der Verfügung der Landesgesetze, Die neueren Landesgesetze sind in dieser Beziehung noch weiter gegangen. Nach diesen müssen bei allen V-en die Veranstalter regelmäßig wenigstens 24 Stunden vor dem Beginne der V. eine Anzeige bei der Bezirksbehörde machen, u. diese ist dann berechtigt u. verpflichtet dieselbe zu verbieten, wo Gefahr für die öffentliche Sicherheit ob. das öffentliche Wohl zu besorgen ist. Jede V. muß mindestens einen Leiter (Präsident) haben, welcher nebst den Veranstaltern u. andern Vorstehern persönlich für alle Unordnung verantwortlich ist. Leiter einer V. können nur Staatsbürger des Landes sein, wo dieselbe gehalten wird. Alle Vorschriften, welche über die Sitzungen der Vereine bestehen, z.B. bezüglich der gestatteten Überwachung durch anwesende Polizeiofficianten, finden auch analoge Anwendung auf die V-en. V-en unter freiem Himmel setzen nach den neueren Gesetzen durchaus vorgängige Erlaubniß der Polizeibehörde voraus. Viele Gesetze haben überdies noch hinsichtlich der Militärpersonen, Staatsbeamten u. anderer öffentlichen Diener, der Studirenden u. Schüler öffentlicher Studienanstalten dahin Verfügungen getroffen, daß diesen die Theilnahme an V-en entweder ganz versagt od. nur gegen besondere Erlaubniß gestattet ist. Bewaffnete V-en, sowie Versammlungen des stehenden Heeres u. der Landwehr, sind unter allen Umständen verboten. Die für Zuwiderhandlungen gegen diese Vorschriften angedrohten Strafen bestehen in Geldstrafen u. Gefängniß, insofern nicht der Inhalt der in der V. geführten Reden od. sonst vorgekommenen Handlungen wegen ihres beleidigenden, aufrührerischen od. Hochverrätherischen Inhaltes wider andere bestimmte Strafgesetze verstößt.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.