- Zerstreuung
Zerstreuung, 1) das von einander Entfernen od. Entferntsein mehrer Individuen od. Gegenstände, deren Zusammenbleiben, weil sie in ihrer Vereinigung ein Collectivganzes bilden, od. aus einem andern Grunde, gefordert wird; 2) s. Diaspora; 3) in psychischer Beziehung der Zustand, in welchem die Aufmerksamkeit sich nicht mit der nöthigen u. geforderten Dauer u. Schärfe auf Gegenstände richtet, welche geeignet sind dieselbe in Anspruch zu nehmen. Wenn die Z. eines Theils oft durch das Andrängen mannigfaltiger fremdartiger, od. das Gemüth beunruhigender äußerer Eindrücke veranlaßt wird, so ist sie nicht selten auch Folge einer fehlerhaften Richtung des sich den Spielen der Phantasie hingebenden, ernstes u. consequentes Nachdenken scheuenden Geistes u. kann, wenn sie zur Gewohnheit wird, lähmend auf die Functionen des Geistes einwirken. Häufig wird Z. auch bei geistig sehr hoch stehenden, genialen Menschen bemerkt u. entspringt dann von dem ausschließlichen Hinwenden des Geistes auf höhere Gegenstände, wodurch die Aufmerksamkeit von den Ereignissen u. Verhältnissen des gewöhnlichen Lebens abgezogen wird. Überhaupt ist die Z. überall zugleich einseitige u. partielle Vertiefung u. somit im Allgemeinen das Gegentheil der Sammlung u. Besinnung. 4) Zerstreuung des Lichts, das Licht, welches an der Grenze zweier Mittel gleichsam umkehrt u. ins alte Mittel zurückkehrt, ist entweder zerstreutes (diffuses) od. regelmäßig reflectirtes Licht. Durch ersteres wird uns der Körper, an dessen Grenze die Z. od. das Auseinanderfahren der Lichtstrahlen erfolgt, selbst sichtbar, als sei er ein leuchtender; durch das letztere sehen wir ein Bild desjenigen, welcher das Licht auf jenen Körper sendet. Eine Reflexion tritt ein, wenn ein Lichtstrahl an die Grenze zweier optisch ungleichartiger Mittel gelangt, ob aber eine regelmäßige Reflexion od. eine Z. d. L. stattfindet, hängt blos von der Rauheit od. Glätte der vom Lichte getroffenen Fläche ab, vgl. Spiegel u. Licht. Außerdem findet eine[582] Z. d. L. beim Übergange der Lichtstrahlen in ein brechendes Medium Statt. Hier versteht man unter Z. die Erscheinung, daß die verschiedenfarbigen Strahlen verschieden stark gebrochen werden, roth am wenigsten, violett am stärksten, so daß ein schmales Bündel paralleler weißer Sonnenstrahlen nach dem Durchgange durch ein Prisma ein Bündel divergirender farbiger Strahlen, ein Spectrum, darstellt, in welchem sich die Farben roth, orange, gelb, grün, blau, violett folgen Die Breite dieses Spectrums hängt von der Größe des brechenden Winkels des Prismas ab, aber selbst diesen noch gleich vorausgesetzt von der Substanz des Prismas; man schreibt daher einem Medium ein um so größeres Zerstreuungsvermögen zu, je breiter unter fast gleichen Umständen das Spectrum ist u. pflegt dasselbe zu bemessen nach der Differenz des Brechungsexponenten der äußersten violetten Strahlen u. desjenigen der äußersten rothen Strahlen. Die Versuche haben nun zunächst gelehrt, daß das Zerstreuungsvermögen für verschiedene Substanzen nicht proportional ihrer Brechungsexponenten ist, daß man also im Stande ist z.B. aus Flintglas u. Crownglas zwei Prismen herzustellen mit nach entgegengesetzten Seiten gerichteten Kanten derart, daß durch das Flintglasprisma wohl die Farbenzerstreuung, aber nicht die Brechung des Crownglasprismas aufgehoben wird (achromatische Prismen u. Linsen). Ferner haben Fraunhofers Versuche gezeigt, daß für zwei Medien das Verhältniß ihrer Zerstreuungsvermögen (Zerstreuungsverhältniß) für die verschiedenen Abschnitte der Spectra sich nicht gleichbleibt, daß also die partiellen Zerstreuungsverhältnisse unter sich u. von dem totalen Zerstreuungsverhältniß verschieden sind, woraus folgt, daß ein absolut achromatisches Prisma sich nicht herstellen läßt; es können nur die Glassorten so gesucht u. geändert werden, daß es annähernd der Fall ist. Endlich spricht man noch von einem Zerstreuungscoëfficienten für jedes Medium. Setzt man nämlich nach der allerdings nur näherungsweise richtigen Cauchyschen Formel den Brechungsexponenten eines Mediums e = a + b. 1/λ2, so pflegt man gegenwärtig a den Brechungscoëfficienten, b den Zerstreuungscoëfficienten zu nennen; λ bezeichnet hierbei die Wellenlänge des betreffenden farbigen Strahles. Das totale Zerstreuungsvermögen des Wassers ist 0,013, des Crownglases 0,021, des Flintglases 0,043, des Schwefelkohlenstoffs 0,031, des Anisöls 0,044, des Cassiaöls 0,089, des Phosphors 0,156. Endlich versteht man unter Z. der Lichtstrahlen die Erscheinung, daß durch den Durchgang durch concave Linsengläser die Strahlen divergent od. doch weniger convergent gemacht werden, daher solche Linsen Zerstreuungslinsen genannt werden im Gegensatz zu den convexen od. Sammellinsen; den Punkt, aus welchem parallel der Achse einfallende Strahlen nach dem Durchgange durch die Linse gemeinschaftlich herzukommen scheinen, nennt man den Hauptzerstreuungspunkt, entsprechend dem Hauptbrennpunkt der Sammellinsen, u. den Punkt, aus welchem die Strahlen, welche von irgend einem Punkte in endlicher Entfernung ausgehen, nach dem Durchgange durch die Linse zu kommen scheinen, den Zerstreuungspunkt. In ähnlicher Weise nennt man convexe Spiegel Zerstreuungsspiegel. Zerstreuungskreis nennt man den kleinen Kreis, welchen die von einem Gegenstand in das Auge fallenden Lichtstrahlen bei zu sehr od. zu wenig convexer Hornhaut od. Linse auf der Netzhaut bilden, während beim normal gebildeten Auge die Lichtstrahlen daselbst in einen Punkt sich vereinigen, vgl. Presbyopie, Myopie u. Brillen.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.