- Prakrit
Prakrit (d. i. abgeleitet), ist im Allgemeinen der Name für die Indischen Volkssprachen im Gegensatz zum Sanskrit, der Heiligen u. Schriftsprache, jedoch verstehen schon die altindischen Grammatiker unter P. bes. die indischen Volksmundarten, welche in den Dramen von Frauen u. Personen niederen Ranges gesprochen werden u. sanskritischen Ursprungs sind. Die Grammatiker unterscheiden als Mundarten das Maharaschtri, das Sauraseni u. das Maghadi, wozu noch das Paisatschi u. Apabhransa kommen. Die drei erstern sind lokale Mundarten (bhâshâs); unter ihnen gilt das Maharaschtri für die beste u. edelste. Paisatschi ist die Sprache der niedrigsten Klassen; Apabhransa sind diejenigen indischen Volkssprachen, welche sich am weitesten vom Sanskrit entfernt haben, wie das Abhiri, Dravidi, Chandali, Savari etc. Diese Prakritmundarten, wie sie in den Dramen z.B. der Sakuntala, Vikramorvasi, Mritschhakati etc., welche dem ersten od. zweiten Jahrh. unserer Zeitrechnung angehören, vorliegen, stehen im Ganzen dem Sanskrit noch sehr nahe u. folgen ganz der Grammatik der Sanskritsprache; sie sind erst im Laufe der Jahrhunderte durch allmälige Entartung u. Verweichlichung des Sanskrit im Munde der von den Ariern im nördlichen Indien unterworfenen Urbewohner entstanden. Viele Wörter haben noch vollständig sanskritische Form, ein anderer Theil zeigt lautliche Abweichungen, dazu kommen eine nicht geringe Anzahl von Wörtern, welche dem Sanskrit nicht angehören, sondern aus den früheren Landessprachen in das P. übergepflanzt worden sind. Ein Unterschied zwischen Sanskrit u. der eigentlichen Sprache des Volks hat schon im 6. Jahrh. v. Chr. Geburt, etwa zur Zeit der Wirksamkeit des Sakya (Buddha) bestanden, da die Gathas (Lieder) in den Sanskritwerken der Buddhisten in einem verdorbenen mit Prakritformen gemischten Sanskrit abgefaßt sind. (Vgl. Rajendralaf-Mitra im Journ. of the Roy. Asiat. Soc. of Bengal, 1854, Heft 6.) Im 3. Jahrh. v. Chr. lassen sich schon drei verschiedene Mundarten, eine östliche (Orissa, Kuttack), eine westliche (Guzerat) u. eine nordwestliche (Peschawer) nachweisen. Die Belege dafür bilden die Inschriften des Königs Asoka od. Priyadarsi, welcher im 3. Jahrh. v. Chr. lebte. Dieselben finden sich theils auf Säulen in Delhi, Allahabad, Mathiah u. Radhia, theils auf Felswänden, wie die Inschriften zu Girnar in Guzerat, von Dhauli in Orissa u. von Kapur-di-Giri in Peschawer (wozu noch die von Bhabra in der Nähe von Jeypur kommt). Während diese drei Felsinschriften die erwähnten drei Dialekte repräsentiren, zeigten die Säuleninschriften eine u. dieselbe Sprache, welche der Felsinschrift von Dhauli am nächsten verwandt ist. Der Sprache aller dieser Inschriften am nächsten aber steht das Pali (s.d.), welches alterthümlicher erscheint als das P. der indischen Dramen. Das Pali u. die Prakritmundarten sind die Töchter des Sanskrit, während die neueren indischen Volkssprachen (Hindi, Bengali, Mahratti, Guzerati etc.), nur als die Enkel desselben betrachtet werden dürfen. Das P. ist schon früh öfter grammatisch bearbeitet, der gefeiertste Prakritgrammatiker ist Vararutschi, welcher im 1. Jahrh. n.Chr. lebte u. die Prakrita prakasa verfaßte (herausgeg. von Cowell, Lond. 1857), das Manorama von Bhamaha ist ein Commentar dazu. Aus der eigentlichen Prakritliteratur ist noch wenig bekannt; die heiligen Schriften der Jainas (Dschainas) sind in einer Prakritmundart abgefaßt; ein sehr umfangreiches Gedicht ist das Setu-bandha (auf der Berliner Bibliothek). Vgl. Lassen, Institutiones linguae pracriticae, Bonn 1837; Delius, Radices pracriticae, ebd. 1839; Höfer, Beiträge zur Kenntniß der P. (in dessen Zeitschrift für Wissenschaft der Sprache, Bd. 1–3, Berl. 1845–52.)
Pierer's Lexicon. 1857–1865.