- Synthĕsis
Synthĕsis (Synthese, v. gr.), 1) Zusammensetzung, Verknüpfung, im Gegensatze zur Analyse (Auflösung, Zergliederung); daher synthetisch was durch Verknüpfung entsteht od. durch das Merkmal der Verknüpfung eines Mannigfaltigen in einer Einheit charakterisirt ist. Im wissenschaftlichen Sprachgebrauch werden diese Wörter in sehr verschiedener Beziehung, namentlich aber von den verschiedenen Formen der Gedankenverknüpfung gebraucht. So heißt ein Begriff synthetisch, wenn seine Merkmale unabhängig von ihrer Verknüpfung vollständig bekannt sind u. daher über die Art ihrer Verknüpfung in der Einheit des Begriffs kein Zweifel obwaltet; die mathematischen Begriffe verdanken ihre Bestimmtheit u. Präcision großentheils dem Umstand, daß sie synthetisch gebildet werden. Ein Satz od. ein Urtheil heißt synthetisch, wenn dessen Prädicat nicht im Inhalt des Subjects liegt; S. a posteriori heißt dabei die aus der Erfahrung beruhende, S. a priori die von der Erfahrung unabhängige Verknüpfung von Begriñen im Urtheile. So ist der Satz: viele Rosen sind roth, ein synthetisches Urtheil a posteriori, der: jede Veränderung hat eine Ursache, ein synthetisches Urtheil a priori. Den Grund synthetischer Urtheile a priori, auf welchen jede die Erfahrung überschreitende Erweiterung der Erkenntniß beruht, suchte Kant in gewissen, dem menschlichen Geiste inwohnenden Begriffen u. Denkformen, während Herbart ihn in den nothwendigen Beziehungen der Begriffe nachgewiesen hat. Ein synthetischer (od. progressiver) Beweis heißt der von den Gründen zu den Folgen fortschreitende, im Gegensatze zu dem analytischen (od. regressiven) der von den Folgen zu den Gründen zurückgeht; demgemäß unterscheidet man in der Logik zwischen synthetischer u. analytischer Methode. Kant nannte die transcendentale[152] S. die Verknüpfung aller unserer Vorstellungen in der Einheit eines u. desselben Bewußtseins. In der Schellingschen u. Hegelschen Philosophie bezeichnet S. die angebliche Vereinigung des Widersprechenden (der Thesis u. Antithesis) durch die intellectuelle Anschauung od. das dialektische (im Gegensatz zu dem blos verständigen), vernünftige Denken. In der Geometrie bedeutet S. od. synthetisches Verfahren die Ableitung des Gesuchten aus dem Gegebenen mit Hülfe bestimmter Constructionen (vgl. Analysis). 2) In der Chemie die Methode, den Körper, welcher in seine Bestandtheile zerlegt worden ist, wieder neu zu bilden, s.u. Chemie I. B); 3) in der Anatomie die Zusammenfügung der Knochen u. überhaupt des ganzen Körpers; 4) die synthetische Methode in der Predigt besteht darin, daß die einzelnen Punkte des Textes unter einen Hauptgedanken zusammengefaßt werden; s. Predigt.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.