- Desinfection
Desinfection (Desinsicirung), Reinigung der Luft u. anderer Körper von übelriechenden u. der Gesundheit nachtheiligen Stoffen, bes. den Contagien, d.h. den Producten gewisser Krankheiten, welche für den gefunden Organismus ansteckend wirken (Miasmen nennt man sie dann, wenn sie gasförmig sind). Es geschieht theils auf mechanischem, theils auf chemischem Wege. Zur D. mechanischem Wege erzeugt man mit Hülfe der Wärme od. bes. dazu construirter Ventilatoren einen Luftzug, wodurch die inficirte Luft entfernt u. durch frische ersetzt wird. Die blose Räucherung mit aromatischen Harzen, Blumen, Gewürzen etc. genügt nicht, die Luft von schädlichen Gasarten zu befreien; die bei der Erhitzung solcher Stoffe entstehenden gasförmigen Producte verdecken mehr die übeln Gerüche, als daß sie dieselben zerstören, u. wirken nur insofern vortheilhaft, als sie die verschiedenen Organe reizen u. in Folge dessen die Aufnahme der Contagien verhindern. Das wirksamste chemische Desinfectionsmittel ist das Chlor, es wurde von Tourcroy zur D. vorgeschlagen, kann aber nicht an solchen Orten angewendet werden, wo sich Menschen aufhalten, weil es auf die Athmungswerkzeuge höchst nachtheilig wirkt; dagegen leistet es bei der D. der Kloaken die ausgezeichnetsten Dienste, indem es sowohl auf Ammoniak als auf Schwefelwasserstoff, Schwefelammonium u. Phosphorwasserstoff zerstörend einwirkt. Auch die Contagien zerstört es, jedoch nicht alle, z.B. nicht die des Gelben Fiebers u. der Cholera. Die Anwendung des Chlors erfolgt so, daß man an dem Orte, welcher desinficirt werden soll, die Chlorentwickelung aus einem Gemisch von Braunstein u. Salzsäure, od. Braunstein, Kochsalz u. Schwefelsäure in offenen Gefäßen bewerkstelligt. Siegel hat sogenannte luftreinigende Kugeln hergestellt, welche aus 1 Thl. Kochsalz, 1 Thl. Thonerde, 1 Thl. Eisenvitriol u. 3 Thln. Braunstein bestehen u. die, auf glübende Kohlen geworfen, Chlor entwickeln. Ausgedehntere Anwendung als das Chlor erlauben die unterchlorigsauren Salze; man bedient sich namentlich des Chlorkalks (unterchlorigsauren Kalk, Bleichkalk) u. der Javelli'schen Lauge (unterchlorigsaures Kali u. Natron), welche letztere von der Pariser Polizeipräfectur zur Zerstörung des übeln Geruchs der Abtrittsgruben verordnet wurde. Es haben sich aber mannigfache Übelstände auch bei dieser Art von D. herausgestellt; ein Überschuß von Alkali nämlich, der niemals zu vermeiden ist, gibt Veranlassung zur Bildung von Ammoniak aus den zu desinficirenden Stoffen; ferner sind die überschüssigen Chlordämpfe der Gesundheit nachtheilig u. endlich ist das Material zu theuer, als daß es überall zur D. angewendet werden könnte. Schwefelige Säure wirkt ebenfalls vortheilhaft, ist aber wenig in Gebrauch. Salzsäure ist eins der wirksamsten[867] Agentien, sie zerstört Contagien u. bindet das Ammoniak, daher man sich ihrer öfters bei Grubenräumungen bedient; Guyton-Morveau wendete sie 1773 mit gutem Erfolge zur D. der Kirche zu Dijon an. Salpetersäuredämpfe wirken sehr kräftig, sind aber nicht zu empfehlen. Von bes. günstiger Wirkung ist die Kohle, namentlich die frisch ausgeglühte, welche das Vermögen besitzt, Gase in sich aufzunehmen, zu verdichten u. zurückzuhalten; man hat sie in Krankenhäusern u. in neuerer Zeit zur Entfernung des beim Talgschmelzen sich entwickelnden üblen Geruchs angewendet; zu letzterem Zwecke bedeckt man die Kessel mit siebähnlichen Deckeln, welche mit einem Gemeng von frisch gebranntem Kalk u. Holzkohle gefüllt sind. Seit einiger Zeit ist man bes. in Frankreich bemüht gewesen, Gemische von verschiedenen Substanzen herzustellen, die neben der energischen Wirkung als desinficirende Mittel durch ihren geringen Preis die Anwendung im Großen möglichst erleichtern; sie bezwecken fast ausschließlich die Entfernung des unangenehmen Düngergeruchs theils beim Ausräumen der Gruben, theils bei der Bereitung von künstlichem Dünger. Die Methode von Krafft u. Sucquet besteht darin, daß man die flüssigen Theile von den festen Theilen des Düngers trennt, die Flüssigkeit mit gebranntem Kalk versetzt, stark umrührt u. die sich entwickelnde ammoniakalische Luft durch Eisenvitriol u. dann durch eine verdünnte Säure leitet, um so das Ammoniak zu gewinnen; die festen Excremente werden mit kohlehaltigen Substanzen gemengt u. zu Poudrette verarbeitet. Siret wendet ein Desinficirendes Pulver an; dasselbe besteht aus 100 Thln. Eisenvitriol, 50 Thln. Zinkvitriol, 40 Thln. Sägespänen, 5 Thln. Theer, 5 Thln. Rüböl, od. einem Gemenge von Torf mit den Rückständen bei der Chlorbereitung, od. 50 Thln. Eisenvitriol, 1/2 Thln. Kupfer in 10 Thln. Salzsäure aufgelöst, 1/2 Thl. Äther. Von letzterer Mischung soll 1 Pfund hinreichen, um 130 Pfund Dünger zu desinficiren. Salmon in Marseille empfiehlt getrocknete Algen mit Kalk, Gyps u. Zinkvitriol vermischt. Ledoyen u. Raphanel bereiten eine Flüssigkeit aus 1 Thl. salpetersaurem Bleioxyd, 1/4 Thl. Bleizucker u. 8 Thin. Wasser. Nach Coutarel wird Salzsäuregas in die Grube geleitet, damit das Ammoniak gebunden wird, dann ein Gemeng von Alaun, Eisenvitriol, holzessigsaurem Eisenoxyd u. Kreosot hineingeschüttet. Bayard gibt an, daß eine Mischung von 25 Thln. Eisenvitriol, 20 Thln. Thon, 15 Thln. Gyps u. etwas Steinkohlentheer sehr kräftig wirke. In Lyon wendete man mit Vortheil die Mutterlaugen aus den Eisenvitriolfabriken, Rückstände von der Chlorbereitung u. Kohlenpulver an; auch bedient man sich in mehreren Städten Frankreichs, nach dem Vorgange Pagnon-Vuatrin's, der Steinkohlenasche mit bestem Erfolge. Nach der Methode von Latour-Arlet leitet man Wasserdampf in die Grube, läßt die austretenden Dämpfe durch Wasser gehen u. verbrennt die Gase, die nicht absorbirt werden. Louvet-Milan bewirkt die D. mittelst eines Gemisches von 2 Liter Wasser, 1 Kilogr. Eisenvitriol, 3/10 Liter Kalkpulver, 2/10 Liter gestoßener Kohle u. 2/10 Liter Ruß. Calloud verwirft die Anwendung von Metalloxyden, weil die dabei sich bildenden phosphorsauren Metalloxyde schwer löslich sind u. die gesammte im Dünger enthaltene Phosphorsäure auf diese Weise den Pflanzen entzogen wird; dagegen empfiehlt er die D. mit den Mutterlaugen der Salinen, welche Veranlassung zur Bildung von löslichen phosphorsauren Salzen geben.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.