Ehre

Ehre

Ehre (Existimatio, Dignitas, Rechtsw.), 1) als rechtlicher Begriff die ungeschmälerte Rechtsfähigkeit, welche der Staat dem Staatsbürger auf den Grund der jeder Persönlichkeit präsumtiv zukommenden sittlichen Achtung beilegt. Diese äußere Achtung (Bürgerliche E.) ist demnach von der moralischen Achtung eines Menschen, welche sich auf die innere Überzeugung von dessen Werth gründet, durchaus verschieden. Die Dauer der letzteren hängt von eines Jeden Meinung gb u. kann nicht erzwungen werden; die Bürgerliche E. aber wohnt[508] dem Staatsbürger als Rechtssubject so lange bei, als sie ihm nicht auf gesetzmäßige Weise entzogen od. gemindert worden ist. Nach welchen Grundsätzen das Vorhandensein einer solchen Ehrenminberung zu beurtheilen sei, ist namentlich für das Gememe Recht wegen des nicht ganz klaren Verhältnisses, in welches dabei die Vorschriften des Römischen u. Deutschen Rechtes mit einander zu bringen sind, sehr bestritten. Viele gehen dabei davon aus, daß A) das Römische Recht hierin noch jetzt Gültigkeit habe. Dasselbe unterscheidet: a) Infamia, die Schmälerung des Ehrenrechtes wegen bestimmten, durch Edict od. Gesetz (daher von Neueren auch Infamia juris genannt) ausdrücklich mit dieser Strafe belegten Handlungen od. Gewerbe; I. immediata genannt, wenn sie von selbst als Folge der infamirenden Handlung eintritt; I. mediata, wenn sie erst durch ein richterliches Straferkenntniß vermittelt wird. Sie trat ein bei Verurtheilung in einem Judicium publicum, bei der Verurtheilung wegen Raub, Injurie, Betrug u. Verletzung einer Grabstätte, bei Verurtheilung aus dem Societätscontract, Depositum, Mandat od. aus der Führung einer Vormundschaft, bei Verurtheilung wegen Zinswuchers, Verletzung der Trauerzeit, doppeltem Verlöbniß, Betreffung einer Frau im Ehebruch, sowie allgemein bei dem Gewerbe der Schauspieler, Thierkämpfer, Huren, Hurenwirthe u. dergl.; b) Turpitudo, die Verächtlichkeit, welche Jemandem wegen verächtlichen u. unsittlichen Wandels anklebt. Sie wurde wüher durch die Nota censoria herbeigeführt, später aber überall da angenommen, wo ein Bürger durch offene Verletzung der Sitten- u. Anstandsgesetze sich die angemeine Verachtung zugezogen hatte; c) Levis notae macula, derjenige mindere Grad der E., welcher bes. bei Personen niederen Standes als Folge eines minder geachteten Gewerbes, der Abstammung von ehemaligen Unfreien, Schauspielern etc., auch nur als schmutziger Armuth angenommen wurde. Die Nachtheile des verminderten Ehrenrechtes waren entweder allen drei Klassen gemeinschaftliche, od. nach den einzelnen Arten verschiedne. Zu den ersteren gehörte insbesondere die Klage wegen Verletzung des Pflichttheils, selbst gegen Geschwister, wenn in dem Testament eine verächtliche Person vorgezogen worden war, Ausschließung einer sogenannten Actio famosa (einer Klage, welche die Infamie herbeiführen konnte) gegen den Unbescholtenen, Zurücksetzung beim Zeugniß etc. Die Infames traf außerdem Verlust des Jus suffragii et honorum (des Stimmrechts u. des Rechts zu öffentlichen Ehrenstellen), die Unfähigkeit, mit einer Person senatorischen Ranges eine Ehe einzugehen, sowie in Processen als Procurator auftreten zu können etc. Ähnlich haben sich auch B) im Deutschen Recht drei Stufen der Ehrenminderung ausgebildet: a) die Ehrlösigkeit, deren Wirkung wirkliche Verminderung der Rechtsfähigkeit ist. Das Deutsche Recht nimmt diese nur bei schweren Verbrechen an, u. der Eintritt derselben ist daher vorzugsweise eine Frage des Strafrechts. Die Wirkungen sind deshuib hier immer an ein Strafurtheil geknüpft; im Übrigen aber kommt sie ähnlich, wie im Römischen Recht, bald als directe Strafe des Verbrechens, bald als die Folge einer anderen Strafe vor, mit der die gemeine Meinung den Begriff des Entehrenden verbindet, wie z.B. der durch Henkers Hand vollzogenen Strafen, des Prangers, Staupenschlages, in neuerer Zeit bes. des Zuchthauses. Die Bürlungen dieser deutschrechtlichen Ehrlostgleit sind dann Verlust der activen u. passiven Wahlrechte in Vemeinde u. Staat, Verlust etwa bekleideter öffentlicher Ämter, Ausschluß von Zünften u. Genossenschaften, auch wohl nach einzelnen Privatrechten Verlust der politischen Rechte des Adels; b) die Anrüchigkeit, im älteren Rechte auch Echtlosigkeit genannt, als Folge gewisser, einer Person anklebenden Eigenschaften, namentlich der unehelichen Geburt u. gewisser Gewerbe, bes. des Abdeckers. Diese Anrüchigkeit mindert heutzutage nicht die politischen Rechte, bewirkt aber zuweilen noch die Unfähigkeit zum Eintritt in Zünfte u. andere Corporationen; c) die Verächtlichkeit, welche nicht an einzelne speciell bestimmte Handlungen geknüpft ist, sondern in Folge einer durch die öffentliche Meinung als unwürdig u. unmoralisch verdammten Lebensweise bei Vagabunden, Zigeunern, feilen Dirnen, Kupplern etc. angenommen wird. Ihre Wirkungen im Gebiete des Rechtes zeigen sich hauptsächlich nur da, wo der Richter auf die menschliche Eigenthümlichkeit der Personen Rücksicht zu nehmen hat, wie z.B. beim Zeugniß, bei der Wahl zum Vormund, Auferlegung des Reinigungseides etc. Da hiernach dieselbe sehr der römischrechtlichen Levis notae macula, die beiden anderen beziehendlich der Infamia u. Turpitudo ähneln, so war es natürlich, daß bei Reception des Römischen Rechtes die angegebenen Bezeichnungen vielfach gegenseitig auf einander übertragen wurden, wodurch die oben bemerkte Streitfrage entstanden ist. Da indeß die Begriffe des Römischen Rechtes auf unsere staatlichen u. socialen Verhältnisse zum großen Theil nicht passen u. bes. die Infamie dort mehr als eine politische Institution erscheint, im staatsrechtlichen Gebiete aber das Römische Recht auf eine Reception keinen Anspruch machen kann, so müssen wohl bei der Entscheidung, ob die E. einer Person gemindert sei, jetzt nur deutschrechtliche Grundsätze entscheiden. Jede Verletzung der Bürgerlichen E. eines Menschen, mag sie sich nun durch Schimpfworte od. Bezeigung verächtlicher Handlungen aussprechen, ist als Injurie, Beleidigung (s.d.), od. in sofern sie in dem gegen Dritte ausgesprochenen Vorwurfe verächtlicher bestimmter Handlungen besteht, als Verleumdung strafbar. Doch tritt die Bestrafung hier immer nur auf Antrag des Verletzten, nicht von Amtswegen ein. Insoweit genießt auch die besondere Standesehre, d.i. die äußere Achtung, welche durch den besonderen Stand des Menschen begründet wird, einen besonderen rechtlichen Schutz. Handlungen, welche im gemeinen Leben nicht ohne Weiteres als Ehrenverletzungen betrachtet werden können, können doch, z.B. einem Offizier gegenüber, wegen der diesem Stande anhaftenden Eigenthümlichkeiten zur Injurie werden. Im Übrigen aber kann die Standesehre juristisch nicht als besondere Art der E. gelten. 2) (lat. Honor), allegorische Gottheit, dargestellt als Göttin, mit Kranz u. Füllhorn in der Linken, mit Scepter in der Rechten. Der Tempel derselben war in Rom an den der Tugend so gebaut, daß man durch diesen in jenen gehen mußte; Marcellus hatte beide errichtet. Man opferte dieser Gottheit mit entblößtem Haupte.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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