- Ostiaken
Ostiaken (Ostjäken), ein zur Ugrischen Gruppe der Finnischen Völker (u. somit zum Altaischen Völker- u. Sprachenstamme) gehöriges Volk im Russischen Asien, welches sich bes. in den sibirischen Gouvernements Tobolsk u. Tomsk, an den Flüssen Tom, Tschulym u. Ket, sowie in den Mündungsgegenden des Ob, Jenisei, Irtisch bei Surgut, Tobolsk u. Beresow aufhält u. etwa 25,000 Köpfe zählt. Die O. sind sehr verarmt, haben aber ihre alte Stammverfassung noch größtentheils beibehalten; die einzelnen Geschlechter stehen unter einem Ältesten, welcher die Zwistigkeiten ohne alle Formalitäten schlichtet. Ein gemeinsames Oberhaupt wird als Fürst sämmtlichen Geschlechtern anerkannt; dasselbe hat die Verpflichtung, die Eintracht unter den einzelnen Geschlechtern aufrecht zu erhalten u. die Rechtsstreite zu entscheiden, mit Ausnahme der Capitalverbrechen; die Fürstenwürde ist erblich, wenn der Sohn unmündig ist, tritt der Oheim od. ein älterer Verwandter als Vormund ein. Die O. sind theils Fischer (am Ob u. Narym), theils treiben sie Ackerbau, Handel u. Gewerbe (am Irtisch), theils sind sie Rennthierbesitzer u. kommen als solche in stete Berührung mit den Samojeden, mit denen sie jedoch nicht stammverwandt sind. Die Sprache der O. (Ostiakische Sprache), bildet mit der Wogulischen den östlichsten Zweig des Finnischen Stammes. Von der diesem Sprachstamm eigenen Vocalharmonie zeigt sie nur noch wenig Spuren; das Nomen hat keine Genera, aber einen Singular, Dual u. Plural u. sechs Casus: Nominativ, Dativ, Locativ, Ablativ, Caritiv u. Instructiv, z.B. kara Boden, Dat. karaga, Loc. karana, Abl. karageuch, Instr. karanat, Car. karadach, Dual karagan, Plur. karagat. Die Adjectiva haben keine Formen für die Steigerungsgrade. Die Zahlwörter sind: 1 it, 2 kâden, 3 chûdem, 4 nieda, 5 wêt, 6 chût, 7 tâbet, 8 nîda, 9 ar jong, 10 jong; die Ordnungszahlen werden daraus durch die Endung met gebildet; mit Ausnahme von ôdeng der erste. Die persönlichen Pronomina sind ma ich, Dual. min, Plur. meng; neng du, Dual nîn, Plur. neng; teu er, Dual tin, Plur. teg; Possesiva werden durch Suffixe ausgedrückt, z.B. kêzem mein Messer, kêzen unser Messer. Die Verba scheiden sich in Transitiva u. Intransitiva, sie haben ein Präteritum, Futurum, Conjunctiv, Imperativ, Infinitiv, Gerundium u. Participia u. werden durch die Endungen conjugirt, z.B. panem ich legte, panen du legtest, panet er legte etc.; Fut. pandem ich werde legen, Conj. panem adang, panngam, Imperat. pane, Inf. pandai, pandaga, Gerund. panmen, Partic. panda, panem. Es gibt einen großen Reichthum an abgeleiteten Verben, wie Causativa, Frequentativa, Reflexiva etc.; statt der Präpositionen sind Postpositionen. Die Sprache der O. wird in drei Hauptdialekten gesprochen: a) der Irtischsche Dialekt, am Irtisch u. nach dessen Einmündung am Ob bis zum Salym; b) der Surgutsche Dialekt am Flusse Pym, längs des Ob u. dessen Zuflüssen bis in das Gouvernement Tomsk hinein. Man unterscheidet als Untermundarten die niedere od. gewöhnlich sogenannte Juganische; die mittlere od. Vachsche; die obere u. die Wasjukaische; c) der Obdorskische Dialekt am unteren Ob zerfällt in den eigentlichen Odorskischen u. den Kondischen. Auf den Irtischdialekt hat das Russische u. Tatarische vielen Einfluß geübt; weniger das Russische auf die Dialekte von Surgut u. Obdorsk; das Obdorskische hat jedoch manches vom Samojedischen u. Syrjänischen erfahren; das Surgutsche dagegen hat sich am reinsten erhalten. Eine Grammatik u. Wörterbuch der Sprache der O. hat Castrén (Petersb. 1849, 2. A. 1858, neue Bearbeitung von Schiefner, ebd. 1861) geliefert.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.