- Solmisation
Solmisation, die Benennung der Töne beim Gesang, welche Guido von Arezzo erfand. Derselbe soll nämlich die älteren od. Gregorianischen Benennungen der Töne: A, B, C, D etc. od. das Abcdiren, als er sein Tonsystem in Hexachorde statt der vor ihm gebräuchlichen Tetrachorde eintheilte, in die Sylben ut, re, mi, fa, so, la verwandelt haben. Diese S-en werden deswegen die Guidonischen od. Aretinischen (Voces Aretinae) genannt. Er entnahm sie einer alten Hymne an St, Johannes:
Utqueant laxis
Resonare fibris
Mira gestorum
Famuli tuorum
Solve polluti
Labii reatum
Den ganzen, 92 Töne enthaltenden Umfang des damaligen Tongebietes theilte er in sieben Hexachorde ein, von. denen aber nur drei als wirklich verschiedene Tonleitern angenommen werden können, da die vier anderen bloße Versetzungen derselben Tonleitern in die höheren Töne sind. Von diesen drei Grundhexachorden hieß das erste das harte (Cantus durus), das zweite das natürliche (C. naturalis) u. das dritte das weiche (C, mollis). Als tiefster Ton wurde das dem heutigen Tonsystem entsprechende G angenommen u. das ganze Hexachord hieß also:
G, A, H, C, D, E, ut re mi fa sol la. Da nach dem Guidonischen System jedes Hexachord vom dritten bis vierten Ton eine halbe Stufe enthalten mußte, so konnte dieses nur auf den Tönen G, C u. F Statt finden, u. da der Ton, welcher das Hexachord anfing, jederzeit ut genannt wurde, so bekam ein u. derselbe Ton, je nachdem er ein Hexachord anfing od. in der Reihe desselben blos vorkam, verschiedene Namen, z.B.:
G A H c d e ut re mi fa sol la c d e f g a ut re mi fa sol la f g a b c d ut re mi fa sol la Die halbe Stufe, wo sie vorkam, mußte allemal mi fa genannt werden, u. so wurde auch später, wo von halben Stufen die Rede war, dieselben mi fa genannt. So lange in der Melodie kein Hexachord überschritten wurde, machte die Art die Töne zu benennen keine Schwierigkeit, z.B.:
Schwieriger war es, wenn die Melodie das Hexachord überschritt, weil in diesem Fall die halben Stufen das mi fa erhalten mußten, z.B.:
Diese Art zu solmisiren wurde Mutation genannt, welche einer Menge Regeln unterworfen war u. noch bedeutende Mängel hatte, so daß man beim Fortschreiten in halben Stufen auch manchmal die Sylben la fa gebrauchen mußte. Guido lehrte die Mutation an den Fingern der linken Hand abzählen, indem er jedem. Finger die Namen einiger Töne gab; daher Hand des Guido (Mano harmonica). In Deutschland ist die S. wenig u. nur kurze Zeit im Gebrauch gewesen; man solmisirte nach den Gregorianischen Buchstaben u. nur italienische Gesanglehrer bedienten sich ihrer. Länger hat sie sich in Italien, Frankreich u. Spanien erhalten, aber auch hier erfuhr sie wegen ihrer Schwierigkeit u. Unbehülflichkeit manche Abänderung. So wird dort die Sylbe ut des Wohlklangs wegen do u. bei Einführung des jetzt gebräuchlichen Heptachords der fehlende Ton aus dem letzten Verse obenstehender Hymne si genannt, wonach nun unsere jetzige Normaltonleiter so genannt wird:
c d e f g a h do re mi fa sol la si Diese Sylben werden auch Voces Hammerianae genannt, weil sie Kilian Hammer zuerst gebraucht haben soll. Einen Nutzen hat übrigens die S. dadurch, daß sich ihre Sylben gut zur Übung der Aussprache beim Gesange eignen. Nicht nur. sind darin alle einfachen Vocale, sondern auch ein großer Theil verschiedener Consonanten enthalten, wogegen das Singen nach Namen der Buchstaben, welche die Töne Anzeigen, nicht den. Vortheil für die Vocalisation gewähren können, Graun gebrauchte daher die Sylben da me ni po tu la be, welche die Damenisation od. die Graunschen Sylben genannt werden. In Belgien fanden die von Hubert Waelrant vorgeschlagenen Sylben bo ce di [261] ga lo ma ni viel Anklang u. werden daher die Belgischen S-en (Voces Belgicae), auch Bocedisation u. Bobisation genannt. Noch eine S. aus den Sylben la be ce de me fe ge, welche Bebisation, auch Labisation genannt u. von Hitzlar erdacht wurde, ist auch in Anwendung gekommen. Um die der Tonleiter wesentlichen od. zufälligen Erhöhungen u. Erniedrigungen zu unterscheiden, gebrauchen Italiener u. Franzosen die Ausdrücke diesis, dièze u. b molle, b mollissee u. nennen daher den Ton fis: fa diesis, fa dièze u. den Ton ges: sol b molle, sol b mollis-sée etc.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.