Urtheil [1]

Urtheil [1]

Urtheil (Judicium), ist die Form der Verknüpfung od, Trennung der Begriffe, in welcher das Verhältniß derselben zu ihren Merkmalen od. zu einander zum Bewußtsein gebracht wird; od., insofern dieses Verhältniß in ihr ausgesprochen wird,[298] die Aussage über den Inhalt eines Begriffes u. dessen Beziehung zu anderen; daher es die Grundlage des grammatischen Satzes ist. Zu jedem U. gehört daher Subject, Prädicat u. Copula (s.d.a.). Liegt das Prädicat schon im Inhalt des Subjectsbegriffes, so ist das U. ein analytisches (zerlegendes) od. Beschaffenheitsurtheil, z.B. alle Körper sind ausgedehnt; ist dies nicht der Fall, sondern enthält das Prädicat eine nicht schon im Subjecte liegende Bestimmung, so ist es ein synthetisches (verknüpfendes) od. Beziehungsurtheil, z.B. alle Körper sind schwer. Das U. heißt ein vollständiges, wenn Subject, Prädicat u. Copula in ihm einen besonderen sprachlichen Ausdruck finden, z.B. Gott ist gut; unvollständig, wenn dies nicht der Fall ist, sondern entweder die Copula mit dem Prädicat verschmilzt, z.B. das Feuer brennt (= ist brennend), od. an die Stelle des Subjects blos der allgemeine Begriff der Existenz, des Seins tritt, z.B. es brennt, es blitzt (sog. Existenzialsätze). Die Materie (den Inhalt, Stoff) des U-s bilden die Begriffe, über deren Verhältniß in ihm etwas ausgesagt wird; die Art u. Weise, in welcher diese Aussage stattfindet, ist seine Form; die letztere ist Gegenstand der logischen Erörterung, weil sich auf sie unabhängig von dem Inhalt die Gesetze der Verknüpfung der U-e unter einander gründen. Die formale Verschiedenheit der U-e (Urtheilsformen, Urtheilsarten) hängt zunächst ab von ihrer Qualität od. Quantität, d.h. davon, ob rücksichtlich der ersteren das Prädicat vom Subject bejaht od. verneint wird (bejahende u. verneinende U-e, Judicia, affirmativa od. J. positiva u. negativa od. J. privativa), rücksichtlich der letzteren, ob diese Bejahung od. Verneinung von dem ganzen Umfang des Subjectsbegriffes ausgesagt wird, od. nur von einem Theile desselben (allgemeine u. besondere U-e, J. universalia od. J. generalia, u. J. particularia od. J. specialia). Es gibt daher vier Grundformen des U-s: das allgemein bejahende, das allgemein verneinende, das besonders bejahende, das besonders verneinende; ihre Formeln sind: alle S sind P, kein S ist P, einige S sind P, einige S sind nicht P; mit Benutzung der in den Worten affirmo u. nego enthaltenen Vocale bezeichnet man diese vier Arten der Reihe nach durch die Buchstaben a, e, i, o, Die sogenannten Einzelnurtheile (J. singularia), welche das Prädicat von einem Einzelnbegriffe, dem kein anderer untergeordnet ist, aussagen (z.B. Cajus ist ein Dieb), gehören, weil in ihnen das Prädicat von dem ganzen Umfange des Subjects gilt, logisch betrachtet zu den allgemeinen; die sogen beschränkenden od. unendlichen U-e (J. limitativa), in welchen die Verneinung eines Begriffes von einem anderen ausgesagt wird, also die Verneinung im Prädicat, nicht in der Copula liegt (z.B. die Seele ist nicht sterblich), zu den bejahenden U-en; in denen die Quantität nicht bestimmt ausgedrückt ist (z.B. Irren ist menschlich, Bildung ist nicht Tugend), nennt man unbezeichnete U-e (J. indefinita). Alle diese Urtheilsformen heißen, da sie nur eine einfache Aussage über das Verhältniß des Subjects u. Prädicats enthalten, kategorisch. Insofern dabei das U. an sich nichts über die Existenz des Subjects, sondern lediglich über das Verhältniß des Prädicats zu ihm etwas aussagt, hat streng genommen jedes U. einen bedingten (hypothetischen) Charakter, z.B. das U.: ein gerechter Richter ist unbestechlich, behauptet nicht, daß es gerechte Richter gebe, sondern nur, daß, wenn ein Richter als gerecht gedacht werde, er auch als unbestechlich gedacht werden müsse. In den Fällen jedoch, wo die Setzung des Prädicats ausdrücklich abhängig gemacht wird von der Voraussetzung des Subjects (eine Form, welche der Verlauf des Geschehens., wenn er in der Form des U-s aufgefaßt wird, fäst durchgängig fordert), nimmt das U. unvermeidlich die sogenannte hypothetische Form an: wenn S ist, so ist (od. ist nicht) P, u. wenn die Subjecte od. Prädicate mehrer hypothetischer U-e in dem Umfange eines u. desselben Prädicats od. Subjects liegen u. sich in ihm ausschließen, so entsteht durch die Zusammenfassung mehrer solcher hypothetischer U-e ein sogenanntes disjunctives U von der Form: S ist entweder P od. Q; od.: entweder S od.P ist Q. Das U.: die Rosen sind entweder roth od. weiß od. gelb, ist nur die Zusammenfassung der U-e: wenn Rosen roth sind, so sind sie nicht weiß ob. gelb etc. Den Unterschied der kategorischen, hypothetischen u. disjunctiven Urtheilsform nennt man den der Relation. Wird endlich ein U. rücksichtlich seiner Gültigkeit (der Modalität nach) betrachtet, insofern sich über dieselben mittelst seiner formalen Beziehung auf ein anderes U. entscheiden läßt, so enthält jedes U. an sich eine bloße Behauptung od. Versicherung u. ist assertorisch; wird es aber mit dem ihm contradictorisch entgegengesetzten verglichen, so wird entweder das eine U. das andere aufheben od. nicht; in dem letzteren Falle sind beide U-e logisch möglich, sie heißen dann problematisch; im ersteren Falle ist das eine logisch nothwendig, wenn sein Gegentheil logisch unmöglich ist u. heißt dann apodiktisch. Das U.: die drei Winkel eines Dreieckes sind gleich zwei rechten, ist an sich blos assertorisch; es wird apodiktisch durch den Nachweis, daß das ihm contradictorisch entgegengesetzte falsch ist; wahrend alle U-e, für welche sich der Beweis der Unmöglichkeit des Gegentheils nicht führen läßt, problematisch bleiben. Zusammengesetzte U-e (J. composita), im Gegensatz zu den einfachen (J. simplicia), sind solche, in welchen in derselben Form der Verknüpfung eine Aussage über eine Mehrheit von Begriffen od. von einander abhängigen Bedingungen enthalten ist. Hierher gehören außer dem disjunctiven das sogenannte copulative od. conjunctive U. von der Form: S ist sowohl P, als Q, als R; das divisive S ist theils P, theils Q, theils R; das remotive S ist weder P noch Q noch R,; Zusammensetzungen, welche sich auch bei der hypothetischen Urtheilsform wiederholen; so ist z.B. ein U. von der Form: sowohl wenn P, als wenn Q ist, ist S, ein copulativhypothetisches; ein U. von der Form: weder wenn P, noch wenn Q ist, ist S, ein remotivhypothetisches.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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