- Vis [1]
Vis (lat.). 1) Kraft als Ursache einer Wirkung; sowohl in geistiger, wie V. animae, Seelenkraft, u. abstrakter Bedeutung, wie V. probandi, Beweiskraft; als auch in materieller Bedeutung; wie V. absorbens, die Einsaugungskraft V. actīva, die wirkende Kraft, diejenige, welche z.B. in den Schlagadern auf das in diesen enthaltene Blut wirkt; dagegen V. passīva, die leidende Kraft, vermöge deren sich ein Theil ausdehnen läßt. V. attractiva, Anziehungskraft; auch die anziehende Kraft des Concurses, s.d. 1) D). V. aucta, so v.w. Sthenie; dagegen V. imminuta, so v.w. Asthenie. V. compulsiva, antreibende Kraft. V. contractilis, die Zusammenziehungskraft, Contractilität. V. elastica, die Elasticität, Schnellkraft. V. expulsiva, austreibende Kraft. V. fermentativa, die Gährungskraft, so wie die, durch welche die Menschen Säfte mittelst einer inneren Bewegung ihrer Beschaffenheit, in eine andere übergehen. V. gravitatis, die Schwerkraft. V. inertiae, 1) die Kraft, wodurch ein Körper einem andern widersteht, welcher denselben Raum einnehmen will, in welchem er sich befindet; 2) das Beharrungsvermögen, s. Trägheit 1). V. irritabilitatis, die Irritabilität. V. mortua, todte Kraft, die den meisten thierischen Fasern gemeine, nach dem Tode des Thieres noch fortdauernde od. zunehmende Kraft der Muskelfaser, welche, wenn sie gedehnt wird, sich von selbst wieder zurückzieht. V. motrix, die bewegende Kraft. V. repulsionis, die Abstoßungskraft. V. sensitiva, das Empfindungsvermögen; 2) jeder äußere, das entgegenstehende Maß von Kraft überwältigende Einfluß, Gewalt. Deshalb ist sowohl darunter der Wer der menschlichen Berechnung der Ereignisse stehende Zufall, Casus, V. major, zu verstehen, als jede äußerliche Gewalt, wie die in der Anschwemmung von Land (Avulsio) sich zeigende Kraft eines Stromes (V. fluminis). V. justa, wenn der sie Ausübende dazu berechtigt ist, im Gegentheil V. injusta, welche entweder mit bewaffneter Hand, V. publica, od. auf andere Weise, V. privata, geschehen kann. Im römischen Proceß heißt die Gewalt mittelst Waffen V. armata, die andere aber V. quotidiana, u. die als Einleitung bei der Vindication vorkommende Anwendung einer zum Schein verübten Gewalt heißt V. civilis (V. festucaria, V. ex. conventu). Über das an einer Person durch Gewalt verübte Verbrechen, s. Crimen vis; 3) die Nöthigung zu einer Handlung, s. Zwang.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.