- Concurrenz der Verbrechen
Concurrenz der Verbrechen (Concursus delictorum, Cumulus delictorum [verschieden von Concursus ad delictum, s.d.], Rechtsw.), ist alsdann vorhanden, wenn dem erlennenden Criminalrichter mehrere noch unbestrafte Verbrechen des nämlichen Verbrechers zur Aburtheilung in einem Straferkenntniß vorliegen. Nach der Art des Zusammentreffens ist die C. a) eine successive, materielle od. reale, wenn der Verbrecher durch verschiedene, getrennte Handlungen mehrere Verbrechen verübte; u. b) eine formale, ideelle od. simultane, wenn die aus einem einzigen widerrechtlichen Entschlusse hervorgegangene Handlung gleichzeitig mehreren Strafgesetzen unterfällt, wie z.B. bei der Nothzucht an einer verheiratheten Schwester, wo durch die eine Handlung zugleich das Verbrechen der Blutschande, des Ehebruchs u. der Nothzucht begangen ist. Die erstere Art theilt man noch aa) in die objectiv reale C. (Concursus heterogeneus), wenn dieselbe Person verschiedene Verbrechen, z.B. einen Betrug u. eine Widersetzung beging; u. bb) in eine subjectiv reale (Conc. homogeneus), wenn der Verbrecher dieselben Verbrechen mehrmals verübte, z.B. dreimal stahl. Die homogene C. begründet den Begriff des wiederholten Verbrechens (Delictum reïteratum s. repetitum). Wenn man aber auch das sogenannte fortgesetzte Verbrechen (Crimen continuatum) hierher gerechnet u. darnach auch diejenigen Fälle als C. begriffen hat, wo dasselbe Strafgesetz durch mehrere Handlungen übertreten wird, die in Ausführung des nämlichen, auf dasselbe Verbrechen gerichteten Entschlusses od. des nämlichen fahrlässigen Gebahrens erscheinen, wie z.B. bei einem ehebrecherischen Verhältnisse die verschiedenen Stuprationsacte: so muß dies als eine irrthümliche Auffassung bezeichnet werden, indem in der That in solchen Fällen nicht mehrere Verbrechen, sondern nur mehrere Theile eines u. desselben Verbrechens vorliegen. Das Römische Recht gestattete bei jeder Art der C. d. V die abgesonderte Strafverfolgung jedes einzelnen, die Peinliche Gerichtsordnung stellte den Grundsatz auf, daß blos eine Strafe, u. zwar die härtere, anzuwenden sei, sofern durch ein verbrecherisches Handeln zugleich ein anderes Verbrechen vollständig begangen wird. Die neuere Theorie hat sich jedoch diesen Sätzen niemals genau angeschlossen, sondern die Regel der Peinlichen Gerichtsordnung, die man dann gewöhnlich mit den Worten: Poena major absorbet minorem, ausdrückte, mit mehr od. weniger Modificationen überall angewendet. Erst die neueren Gesetze haben wieder in der Frage klarere Unterscheidungen aufgestellt; hiernach ist zwischen der realen u. idealen C. zu unterscheiden. In Betreff der idealen C. lassen allerdings die neueren Strafgesetzbücher entweder schlechthin die Strafe der leichteren Verbrechen in der des schwereren aufgehen, od. doch, unter Zugrundelegung des schwersten Verbrechens, den Zusammenfluß mit noch anderen nur als einen Strafschärfungsgrund gelten. Bei der realen C. dagegen werden nach den meisten Gesetzgebungen die Strafen einzelner Verbrechen zunächst auch einzeln für sich abgemessen u. dann einfach zusammengerechnet. Freilich stößt dieser Grundsatz in seiner praktischen Anwendung zuweilen auf Schwierigkeiten, entweder aus physischen Gründen, wie wenn z.B. mehrere Todesstrafen verwirkt sind, od. wenigstens aus höheren Rechtsgründen, wie z.B. bei dem Zusammenrechnen mehrerer langdauernden Freiheitsstrafen mit einer Todesstrafe, indem dann die Vollziehung entweder in unmenschliche Grausamkeit od. dem Erfolg nach in eine ganz andere Strafe ausarten kann. Für solche Fälle haben die neueren Legislationen den Grundsatz der unbedingten Zusammenrechnung deshalb mehrfach modificirt, indem sie theils ein höchstes Maß der verschiedenen Strafen (z.B. bei zeitlicher Zuchthausstrafe nur 20 Jahre) festsetzen u. leichtere Strafen in schwerere nach einem gewissen Verhältniß verwandeln lassen; theils eine Erleichterung in der Weise gestatten, daß neben der Strafe des schwersten Verbrechens wegen der noch übrigen concurrirenden verbrecherischen [341] Handlungen nur noch bis zu einer Quote der höchsten Strafe, z.B. nach dem Badischen Strafgesetzbuch auf 1/3–2/3 derselben, erkannt werden darf. Zuweilen kann es auch vorkommen, daß wider einen Verbrecher in verschiedenen Erkenntnissen verschiedene Strafen erkannt worden sind u. zugleich vollstreckbar vorliegen, für welchen Fall dann gleichfalls ein Zusammenfassen derselben nothwendig ist. Die Zusammenrechnung erfolgt dann in der Regel nach den Grundsätzen, welche für die reale C. gelten; die Umwandelung selbst aber geschieht nach den verschiedenen Gesetzgebungen entweder durch das Gericht, welches zuletzt, od. durch dasjenige, welches die höhere Strafe erkannte, od. auch durch das Obergericht, welches über den verschiedenen, erkennenden Behörden steht.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.