Versuch

Versuch

Versuch, 1) eine zur Versicherung des Verstandes, in Fällen, wo er des Erfolges noch nicht versichert ist, unternommene Handlung, durch welche ein Gegenstand geflissentlich in Verhältnisse gesetzt u. Bedingungen unterworfen wird, unter denen ein, zu einem Resultate für die Erkenntniß führender Erfolg eintreten muß. Er kann eben sowohl Gegenstände der Außenwelt, als auch das Eigenvermögen des Menschen zum Gegenstand haben; vgl. Experiment 2). V-e dienen bei der Landwirthschaft dazu, der Natur allerlei Antworten abzuzwingen über ihre Gesetze u. über ihr geheimnißvolles Wirken. Sollen aber die V-e Werth haben, so müssen sie comparativ angestellt u. mehrmals wiederholt werden. Jeder einzelne Landwirth kann u. soll V-e anstellen, doch werden die zuverlässigsten Resultate erhalten, wenn Landwirthschaftliche Vereine u. Landwirthschaftliche Lehranstalten in besonderen Versuchsgärten od. Versuchswirthschaften (s.u. Agriculturchemie) komparative V-e unter Leitung von praktischen Landwirthen u. Naturforschern anstellen u. die Resultate zum Gemeingut machen; 2) (Conatus, Attentat), im Criminalrecht jede äußere, auf Hervorbringung eines Verbrechens unmittelbar u. absichtlich gerichtete Handlung, durch welche die Ausführung des Verbrechens zwar angefangen worden ist, das Verbrechen selbst aber doch nicht vollständig dargestellt wird. Den Gegensatz zum V. bildet in dieser Beziehung das vollendete Verbrechen, s.d. Der V. umfaßt hiernach das Gebiet des Handelns, welches zwischen dem ersten Entschluß das Verbrechen auszuführen u. der wirklichen Ausführung in der Mitte liegt. Die älteren Rechtslehrer haben dabei verschiedene Grade des V-s unterschieden: a) C. remotus (Crimen praeparatum, C. attentatum), entfernten V., wenn die Handlung sich nicht weiter erstreckte, als daß das Verbrechen erst vorbereitet wurde; b) C. proprius (Crimen inchoatum), eigentlichen od. nahen V., wenn bereits ein Anfang der verbrecherischeu Handlung selbst gemacht wurde, ohne daß jedoch Alles geschah, was zur Vollendung nöthig war; c) C. proximus s. perfectus (Crimen perfectum sed non consummatum), vollendeten V., wenn der Verbrecher seinerseits Alles that, um den verbrecherischen Erfolg hervorzubringen, der letztere aber doch ohne Zuthun des Verbrechers nicht eintrat. Die neuern Strafgesetzgebungen haben den sogenannten entfernten V., für welchen sie die specielle Bezeichnung von bloßen Vorbereitungshandlungen gebrauchen, von dem Begriffe des strafbaren V-s ganz ausgeschlossen, so daß sie unter dem letzteren nur den eigentlichen u. nächsten V. begreifen, wo bereits der Anfang mit der Ausführung des V-s gemacht worden. Daneben werden dann nur gewisse Vorbereitungshandlungen, welche noch nicht so weit gediehen u. doch von der Art sind, daß Rücksichten der Criminalpolitik eine criminelle Bestrafung derselben nothwendig machen, als selbständige Verbrechen bes. hervorgehoben. Aus dem hiernach wie oben angegebenen Begriffe des V-s folgt,[525] daß derselbe nur da als vorhanden anzunehmen ist, wo derselbe sich bereits in äußeren, d.h. sinnlich wahrnehmbaren Erscheinungen (nach der Carolina in etlichen scheinbaren Werken, die zur Vollbringung der Missethat dienstlich sind) kundgegeben hat. Weil sonach der V. eine in der Absicht das Verbrechen zu vollbringen unternommene Handlung ist, so kann der V. immer nur bei vorsätzlichen, nicht auch bei fahrlässigen Verbrechen vorkommen. Handelte der Thäter mit sogenanntem unbestimmtem Vorsatz (Dolus generalis), so daß eine Mehrheit von Verbrechen, welche nicht auf gleicher Linie der Strafbarkeit stehen, aus dem V. entstehen konnte, so kommt es darauf an, ob der unbestimmte Vorsatz sich noch in dem unbegrenzten Gebiete der Allgemeinheit bewegte, sich also nur als dunkles Bestreben zu schaden ausprägte, od. ob derselbe sich insofern begrenzt u. festgestellt hatte, daß es sich nur um die Alternative zwischen einer bestimmten Anzahl von Verbrechen handeln konnte. Im erstern Falle ist von einer Bestrafung des V-s nicht die Rede; im zweiten muß angenommen werden, daß der Verbrecher zunächst den leichteren Erfolg beabsichtigt habe. Der Moment des strafbaren V-s tritt mit der Begehung einer Handlung ein, welche mindestens ein Merkmal des objectiven Thatbestandes des beabsichtigten Verbrechens ganz od. theilweise darstellt. So bildet bei einem Diebstahl mit Einsteigen schon der Anfang des Einsteigens, z.B. das Setzen des Fußes auf die angelehnte Leiter, den V. des Verbrechens; dagegen kann das Auskundschaften der Gelegenheit, das Hingehen an den betreffenden Ort, um die That auszuführen, das Herbeitragen der Leiter noch nicht V. genannt werden, weil diese Handlungen noch kein Moment des objectiven Thatbestandes darstellen. Je näher das Verbrechen von diesem Moment an der Vollendung gerückt ist, um so strafbarer wird der V.; allein wegen der großen Mannigfaltigkeit der Fälle machen die neueren Gesetze in der Regel keine weiteren Eintheilungen nach dem Grade, bis zu welchem das Verbrechen gediehen ist, sondern überlassen die Ausmessung der Strafbarkeit nach dieser Rücksicht dem richterlichen Ermessen. Nur wenige Gesetze haben dabei noch in zum Theil etwas veränderter Weise die ältere Unterscheidung (s. ob. b) u. c) zwischen beendigtem u. nicht beendigtem V. beibehalten. Der Umstand, daß der Verbrecher etwa bei dem V. aus Versehen ein untaugliches Mittel, welches er aber für tauglich hielt u. halten konnte, anwendete, z.B. beim Mordversuch eine gar nicht geladene Pistole abdrückte, hebt den Begriff des V-s eben so wenig auf, als wenn etwa durch andere glückliche Zufälle das Mittel paralysirt wurde. Dagegen kann da ein V. nicht angenommen werden, wo das Mittel an sich u. seiner Natur nach zur Ausführung des Verbrechens nicht geeignet war, z.B. wenn Jemand versuchen wollte, durch sein Gebet den Tod eines Anderen herbeizuführen. Bezüglich der Bestrafung des V-s stellt zunächst das gemeine Deutsche Recht die Regel auf, daß der V. in Rücksicht aller peinlichen Vergehen allgemein, wenn auch geringer strafbar ist, als die Vollendung. Von den neueren Gesetzgebungen haben die Gesetzbücher von Österreich, Preußen u. Württemberg dies System gleichfalls insofern angenommen, als sie für V. u. Vollendung des Verbrechens einen u. denselben Strafsatz aufstellen, so daß der Richter danach zwar ermächtigt ist beim V. auf das Minimum zu erkennen, nicht aber unter dasselbe herabzugehen. Doch erleidet dieser Grundsatz selbst in diesen Gesetzgebungen mehrfache Ausnahmen. So erklärt das Österreichische Gesetzbuch den Umstand, daß die That beim V. geblieben ist, für einen Milderungsgrund; das Württembergische ertheilt den Gerichten die Ermächtigung die Strafe des V-s nach Umständen auch in der nächstfolgend niedrigeren Strafart bestimmen zu dürfen, u. wo die Gesetzbücher für das vollendete Verbrechen nur eine absolute Strafe (z.B. Tod od. lebenslängliches Zuchthaus) haben, ist ebenfalls durch die Erlaubniß bis auf zeitliches Zuchthaus von bestimmter Dauer herabzugehen eine Ausnahme gestattet. Überdies hält auch das Preußische Gesetzbuch die Regel nur bei den eigentlichen Verbrechen fest; der V. eines Vergehens ist nur dann für strafbar erklärt, wenn das Gesetz dies ausdrücklich bestimmt hat, der V. einer Übertretung gilt aber unbedingt für straflos. In den andern Strafgesetzgebungen wird der V. schon an sich mit einem gelinderen Strafsatz, als das vollendete Verbrechen bedroht. Über das Verhältniß aber, in welchem die beiden Strafsätze zu einander stehen, herrscht große Verschiedenheit. Meist ist die Strafe des V-s nach einer Quote des Strafsatzes für das vollendete Verbrechen abgemessen, so daß z.B. nach dem Hannoverischen Strafgesetzbuch dem beendigten V. höchstens die halbe Strafe des vollendeten Verbrechens treffen kann, nach anderen Gesetzen aber überhaupt bald 3/4, bald nur 2/3, 1/2 od. 1/4 der Strafe des vollendeten Verbrechens als höchstes Strafmaß jedes V-s zur Grundlage genommen ist. Bei einem noch nicht beendigten V. bestimmen die meisten Strafgesetze völlige Straflosigkeit, wenn der Verbrecher von der Fortsetzung des angefangenen V-s freiwillig wieder abstand. Unter einem qualificirten V. begreift man in der Theorie den Fall, in welchem die Versuchshandlung, abgesehen von der auf Verübung des noch nicht vollendeten Verbrechens gerichteten Absicht, schon an u. für sich ein selbständiges Verbrechen ausmacht. In solchem Falle liegt sodann eine sogen. ideelle od. formelle Verbrechensconcurrenz vor, s.u. Concurrenz der Verbrechen. Vgl. Luden, Vom Versuche der Verbrechen, Jena 1832; Zachariä, Die Lehre vom V. der Verbrechen, Gött. 1836 u. 39, 2 Thle.; Otto, Vom V., 1854.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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