- Näherrecht
Näherrecht (Abtrieb, Abtrifft, Anfall, Ansprache, Beschüttung, Einsprache, Einstand, Zugrecht, Losung, lateinisch Retractus),[649] die Befugniß einer Person, eine fremde von ihrem Eigenthümer an einen Dritten verkaufte Sache von diesem Dritten, so wie von jedem weiteren Besitzer gegen Ersatz des ursprünglichen Kaufpreises an sich zu ziehen. Man unterscheidet: Retractusvoluntarius, welcher durch freiwillige Bestellung unter Hinzutritt des Eintrags in die öffentlichen Grundbücher entsteht, sei es daß diese Bestellung in einem Vertrag (R. conventionalis), od. einem Testament (R. testamentarius) erfolge; R. legalis, welcher unmittelbar auf Gesetz od. Gewohnheitsrecht beruht. Die verbreitetsten Arten des letzteren sind R. gentilicius (R. ex jure consanguinitatis, Erblosung, Freundschaftsrecht), als das Recht der nächsten Intestaterben des Verkäufers, zum Abtrieb eines ohne ihre Einwilligung veräußerten Gutes; R. exjure incolatus s. metrocomiae (Marklosung, Landmannseinstand, Bürgecontract), das Abtreibsrecht, welches den Einwohnern einer Gemeinde od. eines ganzen Landes (dann Landlosung genannt) an Grundstücken, welche an Auswärtige veräußert werden, zusteht; R. partialis s. ex jure congrui (Gespilderecht, Theillosung), das N. des Besitzers einer Liegenschaft, hinsichtlich der früher mit derselben zu einem Ganzen vereinigten Theile u. Pertinenzen; R. vicinitatis (Nachbarrecht, Fürnossenrecht), das Abtriebsrecht, welches dem Besitzer eines Grundstücks auf ein angrenzendes, an einen Dritten verkauftes Nachbargrundstück zusteht; R. ex jure condominii (Gauerbenrecht), wonach, wenn eine im Miteigenthum Mehrer befindliche Sache zum Theil veräußert wird, den Theilhabern ein N. auf den verkauften Theil zusteht. Die Ausübung des N-s muß innerhalb einer gesetzlichen Zeit, nach Gemeinem Recht binnen Jahr u. Tag geltend gemacht werden; sie findet allein gegen den neuen Erwerber, nicht gegen den Veräußerer u. nur zum eigenen Vortheil des Retrahenten statt, daher denn auch eine Cession ausgeschlossen ist. Der Retrahent muß dem Besitzer der Sache den Kaufpreis u. die Vertragskosten, welche der erste Käufer gehabt hat, so wie einen etwa nothwendigen Aufwand bezahlen. Bei Verschenkungen, Vererbungen, Vergleichen u. dergl. findet eine Ausübung des N-s nicht statt. In neuerer Zeit ist man übrigens wegen der vielen Scheinkäufe u. Betrügereien, durch welche man die Ausübung des N-s zu umgehen suchte, so wie wegen dadurch herbeigeführter Beschränkung im Verkehr u. dem Druck, welchen dadurch die Güterpreise erlitten, von der Begünstigung dieses Rechts immer mehr zurückgekommen, so daß dasselbe in vielen Staaten ganz aufgehoben, in anderen wenigstens sehr beschränkt worden ist. Den Nutzen, welchen das N. schaffte, hat man dagegen durch Zusammenlegungsgesetze auf andere Weise zu erhalten gesucht. Vgl. C. F. Walch, Das N., Jena 1766, 3. Aufl. 1795.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.