Schuldentilgung

Schuldentilgung

Schuldentilgung, die Zurückzahlung der contrahirten Darlehne u. Lösung der sonstigen Verbindlichkeiten, welche als Passiven auf einem Vermögen ruhen. Die Aufstellung richtiger Grundsätze über S. ist insbesondere in neuerer Zeit als eine wesentliche Aufgabe der Finanzwissenschaft erkannt worden nachdem die Schulden der meisten Staaten u. Corporationen eine Höhe erreicht haben, bei welcher die sofortige Rückzahlung zu einer Unmöglichkeit geworden ist. Das nächste Mittel zu einer geordneten S. ist in der Regel die Einsetzung einer besonderen Schuldentilgungscommission, welche sich das Geschäft der S. zur besonderen Aufgabe zu stellen hat u. welcher zu diesem Zwecke eine genügend dotirte Schuldentilgungskasse zu Gebote zu stellen ist. Die Mittel zu solcher Dotation können theils Einnahmen zufälliger Art (aus Domänenverkäufen etc.) bieten, theils auch Theile der Staatseinkünfte, welche als regelmäßige Beiträge in den Etat aufgenommen werden. In letzter Hinsicht darf indessen der Wunsch, die Schuld möglichst schnell zu beseitigen, die Regierung nicht dazu verleiten dem Einkommen des Volkes zu große Summen zu entziehen; vielmehr soll sich der Staat auf eine allmälige Abzahlung der Schuld mit denjenigen Hülfsmitteln beschränken, welche sich ohne zu große Belastung der Steuerpflichtigen aus dem Volkseinkommen ziehen lassen. Als ein Mittel die Tilgung einer Schuld ganz sicher zu stellen, ist zunächst in England die Gründung eines Tilgestammes (Stuking fund) empfohlen u. angewendet, u. darauf diese Einrichtung auch auf dem Festlande bei dem Tilgungsplan für rückzahlbare Anleihen vielfach zu Grunde gelegt worden. Sie besteht darin, daß der Schuldverwaltung ein jährlich durch dir Zinsersparungen anwachsendes Vermögen überwiesen wird, welches endlich, nach einer genau vorauszuberechnenden Fortschreitung, die ganze Schuld in sich aufnehmen muß. Dies kann z.B. in der Form geschehen, daß alle getilgten Schuldbriefe zu dem Vermögen der Tilgungsanstalt hinzugeschlangen[453] u. derselben fortwährend verzinst werden. Das Vermögen wächst hierdurch nach den Regeln des Zinseszinses an, u. es ergibt sich darnach, daß z.B. eine fünfprocentige Schuld bei jährlicher Amortisation von ein Procent mit fortwährender Zinszahlung für die eingelösten Schuldbriefe schon in 36 Jahren, eine vierprocentige in 41, eine dreieiuhalbprocentige in 43 u. eine dreiprocentige in 46 Jahren abzutragen ist. Die Erfahrung lehrt indessen, daß die unübersehbaren Wechselfälle des staatlichen Lebens (Kriege, Kriegsrüstungen etc.) es selten gestatten bei dem strengen Systeme des Tilgestammes consequent zu verharren, so wie daß es schwer ist, wenn schon eine beträchtliche Verminderung der Schuld stattgefunden hat, dem Verlangen der Unterthanen nach Steuererleichterung od. wenn sich inzwischen die Staatsausgaben vermehrt haben, der Abneigung vor neuen Steuern zu widerstehen. Es sollen daher den Gläubigern gegenüber nicht durch eine zu hohe Anspannung des Tilgeplanes Hoffnungen erweckt werden, welche nicht erfüllt werden können. Überhaupt wird von vielen Finanzautoritäten im Gegensatz des strengen Tilgeplanes eine freiere Tilgungsweise empfohlen, wobei alle getilgten Obligationen sofort als erloschene Forderungen behandelt u. in der Berechnung des Zinsbedarfes nicht weiter berücksichtigt werden. Nur die Summe, welche jährlich aus den Staatseinkünften neben der Bestreitung der anderen nöthigen Ausgaben übrig bleibt, wird für die S. verwendet. Die Festsetzung eines gewissen Tilgebetrages im Voranschlage wird dadurch nicht ausgeschlossen; sie ist vielmehr rathsam, wenn kein Ausfall an den Einnahmen zu erwarten steht, hat sich aber je nach den Umständen zu richten, so daß dabei hauptsächlich auf die Steuerfühigkeit der Bürger, so wie die Größe der Gesammtschuld zu sehen ist. Je höher die letztere ist, um so nachdrücklicher muß, bes. in günstigen Zeitverhältnissen, auf die gänzliche Abtragung hingewirkt werden. Wird der einmal angenommene Plan ohne Veränderung festgehalten, so ergibt sich, daß bei dem Fortwirken der Tilgung die jährlich dazu verwendete Summe von selbst zu einer immer größeren Quote der Schuld anwächst u. damit die Tilgung beschleunigt wird. Die Tilgung selbst geschieht bei Schuldbriefen, welche einen börsenmäßigen Umlauf haben, entweder durch Heimzahlung nach dem vollen Nennbetrage, zu welchem die Schuldbriefe ausgestellt sind (Remboursement), od. durch Einkauf der Schuldurkunden nach ihrem Börsenpreise (Rachat). Ob der eine od. andere Modus zulässig ist, hat sich zunächst nach den Bedingungen zu richten, unter welchen die Schuld contrahirt worden ist. Sind Anleihen ohne Verschreibung eines höheren Nennwerthes abgeschlossen u. die Heimzahlung innerhalb einer bestimmten Zeit, vielleicht mit Auslosung der einzelnen Documente, versprochen worden, so ist die Tilgung nur in der verheißenen Weise zulässig. Der Rückkauf an der Börse bleibt dadurch nicht ausgeschlossen, wenn der Tilgungskasse die Mittel dazu zu Gebote stehen. Die Zweckmäßigkeit eines solchen Rückkaufes aber hat sich nach dem jedesmaligen Curse der Papiere, so wie nach der Rücksichtnahme zu richten, daß mit einem stärkeren Einkauf jedesmal auch die Wahrscheinlichkeit eines baldigen Steigens der Papiere wächst. Auch die Einziehung des Papiergeldes gehört unter die Maßregeln der S., insofern der Staat die Einlösbarkeit desselben gegen Silber garantirt hat. Entspricht indessen die Menge des Papiergeldes nur dem Bedarf an Circulationsmitteln u. ist die Einlösbarkeit desselben nicht gefährdet, so erscheint die Einziehung weder nöthig, noch selbst zweckmäßig; vgl. Papiergeld.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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