Selbsthülfe

Selbsthülfe

Selbsthülfe, die eigenmächtige Gewalt, mittelst welcher Jemand, unter Umgehung der geordneten Obrigkeit, sich selbst Recht zu verschaffen sucht. Da sich nicht immer auf Seiten der Besserberechtigten die erforderliche größere physische Stärke zur Wiederaufhebung der eingetretenen Rechtsstörung findet, auch jeder Act der Selbsthülfe an sich dem Zwecke eines geordneten Staatslebens, welcher in dem friedlichen Schutze jedes individuellen Rechtes beruht, zuwider ist, so gehört die S. der Regel nach in allen civilisirten Staaten zu den verbotenen Acten. Gleichwohl gibt es Ausnahmen hiervon u. nach dem Zeugnisse der Geschichte kann die S. in gewissen Schranken bestehen, ohne daß dadurch der Staat aufgelöst wird. So bildete das in Deutschland viele Jahrhunderte hindurch als ein Vorrecht der vollkommen Freien bestehende Fehderecht nichts als eine erlaubte S., welche, weil es an einer zureichenden Executionsgewalt u. durchgreifenden Mitteln den Gegner vor Gericht zu stellen fehlte, in vielen Fällen das einzige Mittel sich Recht zu verschaffen war, u. nur in den Formen des Absagens etc. noch eine gewisse Schranke fand. Das Eindringen des Römischen Rechtes, welches bestimmte Verbote der S. enthält, führte endlich auch hier auf bessere Ansichten. Als Ausnahme, in denen eine S. noch erlaubt ist, erhielten sich seitdem nur noch das Pfändungsrecht (s.u. Pfändung) u. das im Holsteinischen noch bis Ende des 18. Jahrhunderts vorkommende Einlager (s.d.). Im Übrigen gilt allgemein die S. für verboten. Zur Strafe dessen, welcher sich dennoch einer S. schuldig macht, verordnet das römische Decretum D. Marci, daß der Gläubiger, welcher, gleichviel ob mit od. ohne Gewaltanwendung, zur Befriedigung od. auch nur zur Sicherstellung seiner Forderung die geschuldete od. eine andere Sache des Schuldners eigenmächtig hinwegnimmt, seine Forderung verlieren soll. Entzieht ferner Jemand eine Sache, deren Eigenthümer er zu sein behauptet, dem Besitzer mit Gewalt, so verliert er, wenn ihm das Eigenthum derselben wiktlich zustand, das Eigenthum derselben an den bisherigen Besitzer; war er aber gar nicht Eigenthümer, so muß er die Sache nicht blos zurückgeben, sondern hat außerdem auch noch den Werth derselben zu erlegen, gleichviel ob er in gutem od. schlechtem Glauben handelte. Dieselbe Strafe soll auch den Miether einer fremden Sache u. denjenigen, welcher eine solche precario besitzt, treffen, wenn sie nach beendigtem Contracte die Zurückgabe verweigern u. bei dieser Weigerung bis zur definitiven Sentenz verharren. Alle diese Strafen sind durch das Canonische Recht u. die Reichsgesetze ausdrücklich bestätigt worden u. haben daher auch jetzt noch als Gemeines Recht zu gelten, insofern nicht Particulargesetze sie abgeschafft od. mit öffentlichen Strafen vertauscht haben. Das Letztere ist nach den neueren Strafgesetzbüchern in verschiedener Weise geschehen. Manche erklären nemlich die S. nur dann für strafbar, wenn sie mit Gewaltthätigkeiten gegen die Person od. das Eigenthum verbunden ist; andere erfordern dies jedoch nicht zum Thatbestand der S.u. bedrohen hiernach Jeden mit Strafe, welcher eigenmächtig außer den gesetzlich erlaubten Fällen seine wirklichen od. vermeintlichen Rechtsansprüche gegen Andere geltend macht. Für einfache S. ist meist Geldstrafe od. Gefängniß bis zu 6 Wochen, bei angewendeter Gewalt Gefängniß bis zu 6 Monaten gedroht. Enthält die S. nicht zugleich eine Störung der öffentlichen Ruhe u. Ordnung, so wird sie nach den neuesten Gesetzen nur auf Antrag bestraft. Nicht zu verwechseln mit der S. ist die Selbstvertheidigung zur Abwehr ungerechter Angriffe wider die Person od. das Eigenthum; s. Nothwehr.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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