- Magna charta
Magna charta, 1) (Great Charter), das englische Staatsgrundgesetz, welches dem König Johann ohne Land von seinen empörten Unterthanen 1215 abgedrungen worden war. Bereits Heinrich I. hatte, um sich auf seinem eben bestiegenen Throne gegen die Ansprüche seines ältern Bruders Robert, Herzog der Normandie, zu befestigen, 1100 die Gesetze Eduards des Bekenners (Leges Edwardi, Common law) mit den Abänderungen, welche sein Vater, Wilhelm der Eroberer, mit dem Rathe der Barone gemacht hatte, durch die Charta libertatum erneuert, durch welche auch manche drückende Lehnsverhältnisse gemildert, die harten Geldstrafen verringert u. die Stadt London mit bedeutenden Privilegien beschenkt wurde. Seine Nachfolger, Stephan von Blois u. Heinrich II., bestätigten bei ihrer Thronbesteigung 1135 u. 1154 diese Urkunde, was zwar Richard Löwenherz verabsäumte, jedoch ihr nicht entgegen trat. Da aber sein Nachfolger, Johann, sich vielfache Eingriffe gegen dieselbe erlaubte, traten Adel u. Geistlichkeit zusammen, denen sich auch London anschloß, u. zwangen ihn am 15. Juni 1215 auf der zwischen Windsor u. Staines gelegenen Wiese Runimede eine neue Urkunde, die eigentliche Magna charta, zu unterzeichnen. Sie war auf die frühern Gesetze gegründet, in lateinischer Sprache abgefaßt u. enthielt 60 Artikel. Es wurden darin der Englischen Kirche ihre frühern Rechte u. Freiheiten, namentlich die Wahlfreiheit, zugesichert, die Lehnsverhältnisse geordnet, die unrechtmäßigen Ansprüche des Lehnsherrn bei Minderjährigkeit u. Erbfällen, wie auch das Recht desselben die Erbtöchter zu verheirathen, abgeschafft; das Lehngeld herabgesetzt u. die Bestimmungen getroffen, daß die Schild- u. Hülfsgelder von den Belehnten nur mit Genehmigung des aus den höhern Geistlichen, Grafen, Baronen u. übrigen unmittelbaren Lehnsleuten des Königs bestehenden Großen Raths erhoben werden sollten, ausgenommen bei Lösung des Königs aus der Gefangenschaft, Ritterschlag seines ältesten Sohnes u. einmaliger Verheirathung seiner ältesten Tochter. Auch der Stadt London wurde dasselbe Recht u. ihr, sowie den übrigen Städten ihre alten Rechte u. Freiheiten zugestanden. Gegen die Willkür der Beamten,[704] Verkäuflichkeit u. Verweigerung des Rechts, die Bedrückungen der fremden Kaufleute sind darin Bestimmungen enthalten, auch die Gerichtsbarkeit der königlichen Forstbeamten beschränkt. Zum Schutz dieser Bestimmungen war eine Commission von 25 Baronen festgesetzt, denen das Land Gehorsam zu schwören u. auf ihr Aufgebot Hülfe zu leisten hätte, um bei vorkommenden Eingriffen den König zur Abstellung zu zwingen, wenn vorherige Vorstellungen fruchtlos gewesen wären. Sehr bald suchte sich Johann, unterstützt vom Papste Innocenz III., welcher den Vertrag für ungültig erklärte, der Erfüllung desselben zu entziehen u. gerieth darüber in Kampf mit der Nation, der bis an seinen am 19. Oct. 1216 erfolgten Tod dauerte. Nach der Thronbesteigung seines minderjährigen Sohnes, Heinrichs III., wurde am 12. Novbr. 1216 die Magna charta mit einigen Veränderungen erneuert. Ein Gleiches geschah im Herbst 1217, wobei zugleich die erste Forsturkunde erlassen wurde, der zufolge Jedem das Recht der Jagd auf seinem eignen Gebiete ertheilt, die Gewalt der Forstbeamten beschränkt u. die Leibes- u. Lebensstrafe bei Tödtung des Wildes in königlichen Forsten aufgehoben wurde. Am 11. Febr. 1225 unterzeichnete Heinrich nochmals beide Urkunden, um sich von den Ständen Geldmittel zu verschaffen, ein Grund, welcher während seiner Regierung noch öfter eine Erneuerung zur Folge hatte. Ein seinem Nachfolger Eduard, 1297, abgedrungenes Gesetz vermehrte durch Hinzuziehung der Städte u. Grafschaften die Anzahl der Ständemitglieder, von deren Zustimmung die Erhebung aller Steuern abhängig gemacht wurde. Eine zweite feierliche Erneuerung u. Erweiterung der Magna charta u. die Forsturkunde (Charta de foresta) ließ sich Eduard erst nach langem Widerstreben 1300 abzwingen. Zugleich wurde deren viermalige Verlesung in jedem Jahre in allen Grafschaften, sowie 1341 unter Eduard III., welchen sein Geldbedürfniß ebenfalls zu öfterer Bestätigung zwang, die Verpflichtung der höhern Staatsbeamten auf dieselbe festgestellt. Wenn auch die meisten in der Magna charta ausgesprochenen Freiheiten u. Rechte durch die Veränderung der Verhältnisse ihre Bedeutung verloren, so behielt doch das Steuerbewilligungsrecht seinen Werth u. war eine kräftige Waffe gegen Willkür der englischen Könige; seine Verletzung rief das Volk zu dem erbitterten Kampfe gegen Karl I. auf, welcher diesen Krone u. Leben kostete. Wenn auch die Magna charta selbst heute noch nicht aufgehoben ist, so wurde sie doch verdrängt durch die Declaration of rights, welche nach der Revolution von 1688 dem König Wilhelm III. bei seiner Thronbesteigung vom Parlament vorgelegt u. von diesem bestätigt wurde; diese bildet die Grundlage der jetzigen englischen Verfassung. Die Magna charta wurde zum ersten Male 1507 abgedruckt; die beste Ausgabe liefert Blackstone in The Great charter and charter of the forest, Oxf. 1753, u. in seinen Tracts chiefly relating to antiquities and laws of England, 2 Bde., ebd. 1762. Vgl. Th. Lau, Die Entstehung der Magna charta, Hamb. 1859; 2) in Ungarn, so v.w. Goldene Bulle 4).
Pierer's Lexicon. 1857–1865.