Wüthendes Heer

Wüthendes Heer

Wüthendes Heer, nach der germanischen Sage ein Troß Gespenster, welche im Herbst u. bes. in den Zwölfnächten, unter Anführung Wodans auf alten Schlachtfeldern erscheinen u. daselbst in den Lüften od. auf der Erde mit großem Getümmel Schlachten kämpfen. Diese Sage erinnert an Wodan, welcher mit den Walkyren u. Einheriar (s. b.) u. begleitet von seinen Wölfen u. Raben, nach den Schlachtfeldern zieht, um dort die Leichen der Gefallenen abzuholen. Statt Wodans werden in den verschiedenen Gegenden Deutschlands alte Nationalhelden als Zugführer gesetzt, so in der Lausitz u. dem Orlagau Dietrich von Bern (Berndietrich, Dieterbenada), in Niederhessen Karl der Große, am Rhein der Lindenschmidt, welcher auf der Burg Schnellert im Odenwalde bei Lindenfels hausen u., wenn ein Krieg bevorsteht, nach der gegenüber liegenden Burg Rodenstein ziehen soll, wo er verweile, bis der Krieg dem Ende nahe, u. dann heimziehe. Der Lindenschmidt soll aber ein Ritter von Rodenstein sein, welcher, fehdegierig, einst seine schwangere, ihm vom Kampfe abrathende Gemahlin zurückstieß u. doch zum Kriege zog. Diese gebar einen todten Knaben u. starb selbst, verwünschte aber noch ihren Gemahl, daß er ewig als Gespenst umherzöge u. den Umwohnern nahenden Krieg verkünde. Während das W. H. vorzugsweise in West- u. Süddeutschland erscheint, hat Norddeutschland die verwandte Sage von der Wilden Jagd, wo der Wilde Jäger (Waud, Waul, Wol, Wodejäger, Helljäger, Nachtjäger), ebenfalls Wodan, der Gott der Luft- u. Wettererscheinungen, zu Roß, mit breitkrämpigem, das Gesicht beschattendem Hute u. weitem, dunkelfarbigem Mantel, begleitet von seiner Gemahlin, der Frau Holle, zu Wagen, mit Jagdgeleit unter Geschrei, Peitschenknall, Hundegebell, Jagdruf in den Lüften über Feld u. Wald zieht, Menschen mitzureiten zwingt, Pferdeschenkel u. Theile von menschlichen Leichen herabwirft u. Kühe mit sich fortnimmt. Schutz gegen die Wilde Jagd gewährt, wenn man mitten auf dem Wege stehen bleibt od. sich platt auf die Erde wirst, od. sich auf ein weißes Tuch stellt od. ein solches um den Kopf bindet od. den Kopf zwischen ein Rad steckt. Da der Wilde Jäger seinen Zug auch gewöhnlich in den Zwölfnächten macht, so soll nach der Sage in diesen Nächten die alte heidnische Götterwelt losgebunden sein u. ihr Wesen treiben, weshalb diese Zeit namentlich für Zauberei, Weissagung u. dgl. aus dem Heidenthum stammenden Aberglauben günstig ist. Auf dem Böhmerwalde verfolgt der Wilde Jäger arme Seelen, welche Holz- u. Jagdfrevel begangen haben. In Thüringen u. im Mansfeldschen schreitet vor dem Zuge ein alter Mann mit weißem Stabe, der treue Eckard, welcher die ihm begegnenden Menschen warnt der Wilden Jagd zu begegnen; dann folgt, begleitet von zahlreichem Troß auf feueräugigen Pferden u. von gleichen Hunden, der eigentliche Wilde Jäger, Graf Hackelberg (Hackelberend, Stackebrand, Habsberg), ein grausamer, unbarmherziger Jäger, welcher einst auf der Jagd, wo er die Bauern von Hunden hetzen u. auf das Grausamste zerfleischen ließ, den Hals brach; dann kommen die geister ischen Hirsche u. Rehe u. endlich reitet auf einer fahlen Mähre der Tod als Gerippe dem Zuge nach. Die Sage von der Wilden Jagd u. dem W-n H-e kommt nicht allein in den germanischen Ländern, sondern auch in Frankreich u. in Spanien vor, ja schon bei römischen Dichtern u. Schriftstellern ist häufig die Rede von einem an diesen Spuck erinnernden wunderbaren Geräusch in der Luft, wobei man in den Wolken ziehende Heere zu erblicken u. Trompetenschall u. Waffengeklirr zu hören wähnte.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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