- Fäulniß
Fäulniß (Putredo, Faulige Gährung), 1) freiwillige Zersetzung organischer Materien bei Gegenwart von Wasser, wobei sich die Elemente auf andere Weise gruppiren u. zwar in der Art, daß die complicirteren Verbindungen in immer einfachere zerfallen, bis zuletzt die Endproducte der F. rein unorganischer Natur sind; die durch den thierischen od. pflanzlichen Lebensproceß gebildeten Verbindungen durchlaufen dabei eine Folge von Umwandlungen, deren letzte die Überführung des Kohlenstoffs in Kohlensäure u. Kohlenwasserstoff, des Wasserstoffs in Wasser, des Stickstoffs in Ammoniak u. Salpetersäure ist. Dieser Zersetzungsproceß, an irgend einem Theilchen der organischen Materie eingeleitet, pflanzt sich durch die ganze Masse stetig fort, ohne weiteres Zuthun der anfänglichen Ursache, sobald nur die Bedingungen erfüllt bleiben, unter denen überhaupt die F. möglich ist. Diese Bedingungen sind: a) eine gewisse Temperatur, welche zwischen + 10 u. 40° schwankt. Bei Temperaturen außerhalb dieser Grenzen geht die F. nicht mehr ihren normalen Fortgang, u. Frostkälte od. Siedehitze heben dieselbe ganz auf; b) Gegenwart von Wasser; schon aus dem gewöhnlichen Leben ist bekannt, daß gehörig ausgetrocknete Stoffe der F. lange Zeit widerstehen, daß dieselbe abersogleich beginnt, wenn Feuchtigkeit zutritt; c) Atmosphärische Luft ist wenigstens zu Anfang der F. nothwendig; hat dieselbe einmal begonnen, so geht sie ungestört fort, wenn auch der Luftzutritt abgesperrt wird. Die Art u. Weise, wie der Sauerstoff der atmosphärischen Luft hierbei wirkt, blieb lange Zeit Gegenstand der Untersuchungen, auf Grund deren sich wesentlich 2 Ansichten geltend gemacht hatten, welche die Wirkungsweise des atmosphärischen Sauerstoffs zu erklären suchten. Nach Einigen sollte durch die Luft eine organische Materie übertragen werden, welche durch ihre Entwickelung zu Infusorien u. Pilzen die Erscheinungen der F. veranlaßte; Andere bezeichnen die Wirkungen des Sauerstoffs als eine rein chemische. Die erstere Ansicht stützte sich hauptsächlich auf die Beobachtung, daß Luft, welche durch Kali u. Schwefelsäure od. durch glühende Röhren geleitet wurde, keine F. verursachte, daß dagegen die Zersetzung sogleich begann, sobald die organische Substanz mit unveränderter Luft in Berührung kam. Hieraus zog man den Schluß, daß durch das Kali u. die Schwefelsäure od. durch die Hitze der glühenden Röhren jene ersten Anfänge vegetabilischen u. animalischen Lebens u. mit ihnen die ersten Ursachen der F. selbst zerstört würden. Neuere Versuche haben aber gezeigt, daß die Ansicht von der rein chemischen Action des Sauerstoffs die richtigere ist. Fäulnißfähig nennt man eine Substanz, welche nur unter dem Einfluß der genannten 3 Bedingungen eine Zersetzung erleidet; Fäulnißunfähig, wenn diese Bedingungen nicht hinreichen, eine solche Veränderung in ihnen hervorzurufen. Fäulnißfähig in diesem Sinne sind nur wenige, aber in der Thier u. Pflanzenwelt überall verbreitete Stoffe, so bes. Albumin, Caseïn, Fibrin, Leim, ferner Galle, Gehirn u. die thierischen Excremente. Zu bemerken ist noch, daß viele organische Substanzen erst dann in Zersetzung übergehen können, wenn sie mit faulenden Körpern in Berührung gebracht werden, so verhalten sich Stärkemehl, Zucker, organische Säuren u. Pflanzenbasen. Man nennt diese Zersetzung Fäulnißunfähiger organischer Substanzen Gährung (s.d.) u. den sie veranlassenden faulenden Körper Ferment. Alle in F. übergegangene Körper sind fähig, die Rolle eines Ferments zu spielen, gährungsfähige Stoffe in Gährung zu versetzen, aber nicht alle Fermente sind im Stande, alle gährungsfähigen Substanzen zur Gährung zu bringen. Die Ursachen, welche die F. verhindern od. beschleunigen, wirken im Allgemeinen eben so auf die Fermente; fäulnißwidrige (antiseptische) Mittel heben auch die Gährung auf, jedoch kann nicht jedes solche antiseptische Mittel die F. od. Gährung anderer aufheben. Die einzelnen Zersetzungsweisen u. die näheren Producte der F. sind höchst mannichfaltig u. ihre Untersuchung mit vielen Schwierigkeiten verbunden; sie wechseln je nach den Bedingungen, unter denen die Zersetzung vor sich geht u. hauptsächlich nach der Zusammensetzung der faulenden Substanz. So liefert z.B. Käsestoff als nächste Producte der F. Ammoniak, Baldriansäure, Buttersäure, Leucin, einen nach Fäces riechenden Stoff u. eine Säure, welche in Tyrosin u. Ammoniak zerfällt; bei der F. der Galle entstehen hauptsächlich Choloïdinsäure, Taurin, Ammoniak u. Cholsäure; hier, sowie beim Käsestoff dieselben Producte, welche sich bei der Einwirkung starker Agentien aus ihnen bilden. Bei weiter fortgesetzter F. zerfallen diese näheren Zersetzungsproducte wieder in einfachere, bis endlich die letzten, wie schon oben bemerkt, rein unorganischer [136] Natur sind. In Bezug auf diese letzten Producte der F. läßt sich im Allgemeinen Folgendes sagen: Stickstoffhaltige Substanzen zerfallen so, daß ihr Stickstoff Ammoniak bildet, der Kohlenstoff Kohlensäure u. Kohlenwasserstoff, Schwefel u. Phosphor endlich Schwefelwasserstoff u. Phosphorwasserstoff. Stickstofffreie Körper liefern gewöhnlich als Endproducte Kohlensäure, Kohlenwasserstoff u. Wasser. 2) (Med.). In lebenden Körpern kann eine eigentliche F. nicht eintreten, weil sie dem Begriffe des Lebens widerspricht, am wenigsten im Blut, so lange dasselbe sich im Umlauf befindet, dagegen aber wohl krankhafter Weise eine Hinneigung zur F. (Faulige Krankheiten), In theilweise dem Leben entzogenen Körpertheilen aber hat der Brand, auch der feuchte Knochenfraß ganz den Charakter der F. todter Körper u. theilt durch Berührung od. Einsaugung auch dem übrigen Körper gleiche Neigung, in Fäulniß überzugehen, mit. Hiernach bekommen auch Krankheiten besondere Bezeichnungen, wie Faulfieber, faule Pocken, Faulgeschwür, Mundfäule, Zahnfäule u.a. 3) F. des Obsts, noch vor der Reise eintretend, ist Folge zu starker Nässe od. auch innerer Verderbniß, zumal bei Beschädigung der Schale von Insecten od. Insectenbrut, die sich aus noch in die Blüthe gelegten Eiern entwickelt. Auch das abgenommene Obst unterliegt, wenn es nicht getrocknet u. der feuchten Luft entzogen ist, der natürlichen F., bes. wenn es in Haufen über einander liegt u. überhaupt in Berührung mit einander bleibt; 4) F. der Bäume, innere Verderbniß des Stammes, bes. wenn durch Abbrechen der Aste, od. andere äußere Beschädigungen an der Rinde, dem Regen Zugang zu dem innern Holze gegeben worden ist; auch andere Baumkrankheiten, bes. durch zu nassen Boden herbeigeführt, verursachen F. Die meisten Bäume sterben dadurch ab, indem sie von innen faulen, kernfaul, u. hohl werden. Um der F. vorzubeugen, muß man bedeutende Baumverletzungen mit Baummörtel bestreichen u. wo es geht, das Faule wegschneiden.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.