- Odin
Odin, der oberste der Asen in der Nordischen Mythologie (s.d.); er ist der älteste Sohn Börs u. der Bilsta, Bruder Veli's u. Ve's, stürzte mit diesen das alte fornjotnische Riesengeschlecht u. erhielt an der Stelle des einigen u. ewigen Gottes Alfadur (Allvater), dessen Namen er auch als Beinamen annnahm, die Herrschaft des Himmels u. der Erde. Er ist der allwissende Gott u. erfährt Alles, was auf der Erde vorgeht durch die zwei Raben Hugin u. Munin, welche auf seinen Schultern sitzen, des Morgens aus- u. die ganze Erde umfliegen u. bei ihrer Rückkehr zu Mittag ihm Alles verkündigen, was sie gesehen haben (daher hat er den Namen Hrafnagud, d.i. Rabengott); er gibt auch den Menschen allen Segen u. alles Glück, namentlich den Kriegern Sieg im Kampfe, den Kaufleuten Gewinn, den Seefahrern günstigen Wind (daher hieß er Farmadr, der Schiffer, Reisende), auch Weisheit, Beredsamkeit u. Dichtkunst; bes. mächtig war er in der Zauberkunst u. erfand die Runen; seine Zauber- u. Sittensprüche enthält das Hava-Mal (s.u. Edda I. C) b). Um Weisheit zu erlangen bat er Mimir um einen Trunk aus dem Weisheitsbrunnen in Jotunheim u. versetzte dafür das eine seiner Augen (daher Biblindi, der Blinde, genannt). Seine Gemahlin war Frigga, welche ihm die Söhne Baldur, Bragi, Hermodr, Tyr u. Hödur gebar; mit Jörd soll er den Thor, mit Rinda den Vale, mit Grida den Vidar u. mit den Wellenmädchen den Heimdall gezeugt haben. Seine Wohnung in Asgard war Valaskialf, wo er auf seinem Throne Hlidskialf sitzend, neben sich die Wölfe Geri u. Freki, die ganze Erde überschaute; sein Roß hieß Sleipnir. Von ihm werden eine Menge Geschichten, namentlich von Reisen zu den Menschen, Kämpfen mit Riesen etc. erzählt. Wie er eine Götterdynastie gestürzt hat, so ist er auch mit seinem Geschlecht nicht ewig Weltregent, sondern wenn Ragnarokr (s.u. Nordische Mythologie) kommt, u. er behelmt, bepanzert u. mit dem Zauberspieß Gungnir bewehrt an der Spitze der Einheriar den Muspellssöhnen entgegenzieht u. gegen Fenriswolf kämpft, wird er von demselben verschlungen. Bei den Opferschmäusen in Skandinavien wurde ihm der Odinsfall, der erste, volle, von dem Priester gesegnete Becher geweiht u. gespendet. Nach O. wurden benannt der Odinsmanadr, d.i. Odinsmonat (vom 22. März bis 23. April) u. Odinsdagr, Odinstag (Mittwoch). Wegen seines unruhigen Wesens wird der graue Wassertreter dänisch Odenshane, isländisch Odenshani (Odins Hahn), Odins Vogel, u. der Lärm, welchen die im November u. December des Nachts ziehenden Vögel verursachen, in Schweden Odins Jagt (Odins Jagd, das Wüthende Heer) noch jetzt genannt. In der Germanischen Mythologie entspricht ihm Wodan (s.d.). Von O. als geschichtliche Person gedeutet, erzählt Snorri Sturleson: O. war der Beherrscher von Asaland od. Asaheim (am Schwarzen Meer), u. obgleich in jeder Schlacht siegreich, mußte er doch, von den Römern bezwungen, mit seinen 12 Oberpriestern, den Asen, auswandern, zog durch Rußland nach Sachsen, dann nach Dänemark u. Schweden u. schlug am See Lögur (Mälar) seinen Sitz auf, baute zu Sigtuna einen Tempel, richtete den Opferdienst nach Sitte der Asen ein u. wies den Vorstehern der Tempel Sitze an. Von O. lernten die Nordländer zuerst Wissenschaften u. Künste. In hohe Achtung setzte er sich durch seine Klugheit u. Zauberkünste, weshalb ihn die Skandinavier göttlich verehrten. Er führte das Verbrennen der Todten, das Aufwerfen von Hügeln zum Andenken großer Helden (Ättahögr) u. die Errichtung von großen Denksteinen (Bautasteine), die Einrichtung des großen Opferfestes am Anfange des Herbstes etc. ein. Endlich st. er in Schweden u. sein Leichnam wurde verbrannt, er selbst ging wieder heim nach Asgard u. lebt dort ewig. Auch bei Saxo Grammaticus ist er ein alter König von Nord-Schweden, welcher zuletzt mit seinen 12 Paladinen göttlich verehrt wurde. Von O. leiteten die meisten nordischen u. angelsächsischen Fürstengeschlechter ihren Ursprung ab. Suhm stellt vier Odine auf.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.