Kirgisen

Kirgisen

Kirgisen, ein Nomadenvolk im südlichen Theile von West-Sibirien, in dem weiten Landgebiet zwischen dem Kaspischen See u. der russisch-chinesischen Grenze. Bei Weitem zum größten Theile steht das Volk unter russischer Oberhoheit, doch dehnt es seine Wanderungen auch in die Khanate Khiwa u. Khokand, sowie in das Chinesische Reich aus. Die K. gehören zur Mongolischen Race u. haben einen mittlern, schlanken u. hagern Wuchs, platte Nase, kleine Augen u. Mund, große abstehende Ohren, sind kräftig u. gewandt u. tragen ihren Körper gut, namentlich zu Pferde. Sie wohnen in geräumigen u. meist reinlichen Filzzelten (Jurte, Kibitke), deren eine größere od. kleinere Anzahl ein Aul bildet. Ihr Hauptreichthum besteht in Pferden, Schafen, Rindern u. Kameelen. Doch liegen sie außer der Viehzucht auch der Jagd ob, führen häufig Krieg gegen einander, wobei sie fast immer zu Pferde,[536] theils mit Feuerwaffen, theils u. zwar öfter mit Bogen u. Pfeil kämpfen, u. sind räuberisch. Die Industrie ist bei den K. auf der niedrigsten Stufe, Ackerbau treiben sie fast gar nicht, nur Salz verstehen sie aus den Seen zu gewinnen, hier u. da wissen sie wohl auch Metall zu gewinnen. Handel treiben sie meist mit Schafen, sowie mit der Viehzucht entnommenen Rohartikeln, wie Häuten, Hörnern von wilden Ziegen etc. Das Schaf dient dabei als eine Art Münzeinheit, nach welcher sowohl der Werth von Thee, Zucker, Branntwein, Tuch u. allen übrigen Artikeln, deren die K. bedürfen, als auch die Steuer (Jassak) berechnet wird. Die K. stehen unter eigenen Fürsten (Manapen od. Sultane genannt) u. haben ihre eigene Verfassung Ihre Religion ist meist die muhammedanische; ihre Sprache ist einer der reinsten türkischen Dialekte. Eigentliche K. sind blos die Diko-Kamennyje-K. (wilde Berg-K.); alle übrigen Horden, die Große, Mittlere, Kleine u. Bukajew'sche Horde, die sogenannten Kirgis-Kaifsaken, sind Kasaken, wie sich diese selbst, u. wie sie auch Perser, Khiwinzen, Bucharen u. Chinesen benennen. A) Eigentliche K. od. Diko-Kamennnyje-K., auch Buruten, bei den Khokandern u. Chinesen Kara-K. (d. h. Schwarze K.) u. in Sibirien Schwarze Tataren. Gegenwärtig lebt diese Horde, nachdem sie ihre früheren Weideplätze am Jenissei verlassen hat, in der Gegend um den Issyk-kul-See, im Süden von der Großen Horde. Die Grenzen ihres Gebiets werden im Norden längs des Gebirgsrückens des Kungi-Ala-Tau, im Süden durch den Zug des Kirgisnyn-Ala-Tau angegeben, u. auf ihren Nomadenzügen streifen sie im Osten bis an die zu Axu gehörigen chinesischen Districte, im Südosten bis an das Gebirge Karakorum, im Westen bis an das Khanat Khokand. Ihr Gebiet gehört zu dem Gebiet Semipolatinsk u. umfaßt mit Einschluß des Issyk-kul 6511/2 QM., wovon, nach Abzug des Sees, 4161/2 QM. auf ihre Weideplätze kommen. Sie theilen sich in 5 Stämme, von denen jedoch erst einer, die Bogu (50,000 Köpfe), den Russen unterworfen ist (seit 1854), obgleich auch die Manapen der übrigen Stämme (Sarabagisch, Sajak, Talak) den Wunsch ausgesprochen haben, russische Unterthanen zu werden. Zusammen schätzt man die Buruten auf 350,000 Köpfe. B) Die Kirgis-Kaifsaken: a) Die K. der Großen Horde nomadisiren in der Richtung von Nordwesten nach Südosten zwischen dem Balkasch-See u. der chinesichen Grenze u. nehmen den größten Theil des sogenannten Sjemirjetschinski'schen Landes ein, dessen nordöstlicher Theil den russischen Milärbezirk Kopal bildet. Im Süden sind ihre Weideplätze durch das Gebirge Kungi-Ala-Tau von dem Gebiet der Dikokamennyje-K. u. durch den Fluß Tschui vom Khanat Khokand geschieden, gegen Westen u. Norden grenzen sie an die Mittlere Horde. Dieser Raum, der einen Theil des sogenannten Sibirischen Italiens ausmacht, umfaßt ohne den Militärbezirk Kopal eine Fläche von 2713 QM. u. gehört ebenfalls zum Gebiet von Semipolatinsk. Der Pristaw der Großen Horde hatte ehemals seinen Sitz zu Kopal. Seit 1856 ist derselbe zum Chef des Bezirkes Ala-Tau nun benannt worden u. hat seinen Sitz in dem 1854 erbauten Fort Wjernoje (auch Almaty genannt). Ihm sind auch die Dikokamennyje-K. des Geschlechtes Bogu untergeben. Eine besondere Verwaltung für der Eingeborenen u. Steppengerichte sind bei den K. der Großen Horde noch nicht vorhanden. Die Rußland unterworfenen K. dieser Horde betragen nach ungefährer Schätzung 100,000 Köpfe; die übrigen nomadisiren auf chinesischem Gebiet. Obgleich die Große Horde in Rußlands Unterthanenschaft getreten ist, zahlt sie doch keinen Jasak (Steuern); sie wird von ihren eigenen Sultanen u. Bijern verwaltet u. steht unter der Oberhoheit des Generalgouverneurs von Westsibirien. Anfangs bestand die Große Horde aus den Stämmen Ussjun, Tulatai u. Sargam, später kam hierzu von der Mittleren Horde noch der Stamm Konkrat. b) Die K. der Mittleren Horde, ehemals die K. unter sibirischer Gerichtsbarkeit od. einfach Sibirische K. genannt, nehmen gegenwärtig die 1854 eingerichteten Gebiete von Semipalatinsk u. der Sibirischen K. ein. Zu dem ersteren gehören auch die sogen. Innern od. unterthänigen K., aus welchen zunächst der Bezirk Semipolatiusk gebildet wurde. Der Flächeninhalt dieser beiden Gebiete beträgt 19, 3031/2 QM. Die Kopfzahl der Horde wird auf 370,000 Seelen angenommen, wovon 19,000 auf die unterthänigen K. kommen. Fast die ganze Mittlere Horde, welche in die 4 Stämme: Argyn, Naiman, Kyptschak u. Uwal-Girej zerfällt, wurde in die russischen Gebiete hineingezogen, u. nur ein geringer Theil nomadisirt auf chinesischem Gebiete, am Oberen Irtysch u. an den Ausläufern des Gebirges Barlyk. c) Die K. der Kleinen Horde, welche auch Orenburgische K. genannt werden, gehören mit ihrem Gebiet zum russischen Gouvernement Orenburg; dieser Horde steht das orenburgische Grenzcomité vor, welches von dem russischen Ministerium des Auswärtigen abhängt. Die volksthümliche Verwaltung besteht aus den Sultanen, deren es 3 gibt, den Distancenvorstehern (ungefähr 75) u. den Häuptern der Aula (400). Diese werden sämmtlich aus den K. gewählt. Das Nomadenterrain dieser Borde (die Trans-Jaikische, gegenwärtig Trans-Uralische Steppe), erstreckt sich vom Flusse Ural bis zum Gebirge Ulutau u. den Flüssen Sary-Su u. Sir Darja, grenzt im Norden an das Gouvernement Orenburg, im Osten an das Gebiet der Sibirischen K., im Westen an das Kaspische Meer u. im Süden an Khiwa, obwohl hier die Grenze nicht bekannt ist. Dieser ganze Raum, der etwa 17, 250 QM. umfaßt, zerfällt in 3 Theile, deren jeder von einem Sultan beherrscht wird. Zwischen dem westlichen u. mittleren Theile geht die Grenzlinie vom Ural-Flusse oberhalb des Städtchens Ilegb zum Westufer des Aral-Sees, die Grenzlinie zwischen dem mittleren u. östlichen Theile vom Ural-Flusse bis zur Mündungsgegend des Sir Darja. Die K. des östlichen Theils nomadisiren zusammen mit Abtheilungen der Mittlern Horde. Die Stärke dieser Horde wird auf 650,000 Köpfe geschätzt u. die 3 Hauptstämme führen die Namen: Alimnly, Bainly u. Semirod od. Dsheti-ugur. d) Die K. der Bukejew'schen Horde stammen von der Kleinen Horde her, von der sie sich innerer Zwistigkeiten halber unter dem Khan Bukej abtrennten. Im Jahre 1801 erhielt Bukej die Erlaubniß mit seiner Horde zwischen der Wolga u. dem Ural zu nomadisiren u. kam so in das Astrachan'sche Gouvernement, wo er das Land einnahm, welches nach der 1771 erfolgten Flucht der Kalmucken frei geworden war u. in dem Districte der Sandsteppe Ryn liegt. Die Zahl der Stämme dieser Horde beträgt 13,[537] von denen Bersch, Serketsch, Alatschi, Baibakty die hauptsächlichsten sind; die Kopfzahl des Volkes wird zu 82,000 Seelen angegeben, der von ihnen benutzte Flächenraum zu 10824 QM. Die Gesammtzahl der K., soweit sie den Russen unterworfen u. bekannt sind, beträgt demnach mehr als 11/4 Mill. Menschen, die sich über einen Flächenraum von 40, 770 QM. mit ihren Horden verbreiten. Vgl. Bär, Nachrichten aus Sibirien u. der Kirgisensteppe, Lpz. 1845; Helmersen, Reise nach dem Ural u. der Kirgisensteppe in den Jahren 1833–35, ebd. 1841–43; Basiner, Naturwissenschaftliche Reise durch die Kirgisensteppe nach Khiwa, ebd. 1848; Chanykow, Skizze des Zustandes der inneren Kirgisen-Horde im Jahre 1841, Weim. 1849.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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