Krystallsysteme

Krystallsysteme

Krystallsysteme, heißen Abtheilungen in der Reihe der verschiedenen, in der Natur vorkommenden Krystallformen, deren einzelne Glieder ein u. dasselbe Achsensystem (s.u. Krystall) haben; man kennt deren sechs, das tesserale, tetragonale, hexagonale, rhombische, monoklinoëdrische u. triklinoëdrische. A) Das Tesserale K. (tessutarische, reguläre, sphäroidrische, gleichachsige, isometrische K.), dessen Formen auf drei senkrecht zu einander stehende, gleichlange u. völlig gleichwerthige Achsen bezogen werden können; daher läßt sich jede tesserale Form nach drei Richtungen aufrecht stellen, d.h. dieses System hat drei Hauptachsen. Die einfachste um dieses Achsenkreuz gelegte Figur ist das Oktaëder, welches man daher die Grundform des tesseralen Systems nennt. Außer den drei Hauptachsen sind in manchen Fällen noch sogen. Zwischenachsen erforderlich, u. zwar die vier Geraden, welche die Mittelpunkte zweier Gegenflächen des Oktaëders, u. die sechs Geraden, welche die Mittelpunkte je zweier Gegenkanten desselben verbinden; die ersteren heißen trigonale Zwischenachsen, die letzteren rhombische Zwischenachsen. Die Hemiëdrie ist im tesseralen System eine häufige Erscheinung, man nennt die hemiëdrischen plenotesserale Formen. Die im tesseralen K. vorkommenden Formen sind folgende: a) plenotesserale Formen: Das Oktaëder,[866] von acht gleichseitigen Dreiecken umschlossen, mit zwölf Kanten u. sechs vierflächigen (tetragonalen) Ecken, durch welche die Hauptachsen gehen. Das Hexaëder (Würfel) von sechs Quadraten gebildet, hat sechs gleiche Kanten von 90° u. acht dreieckige (trigonale) Ecken; die Hauptachsen gehen durch die Mittelpunkte je zweier gegenüberliegender Flächen. Rhombendodekaëder (Granatoëder), von zwölf gleichen u. ähnlichen Rhomben eingeschlossen, hat 24 gleiche Kanten u. sechs tetragonale u. acht trigonale Ecken; die Hauptachsen gehen durch je zwei gegenüberliegende tetragonale Ecken. Das Ikositetraëder von 24 Vierecken gebildet, welche jedes ein Paar gleicher Seiten hat; es hat dreierlei Ecken: sechs tetragonale, welche wie Oktaëderecken liegen, u. durch welche die Hauptachsen gehen, acht trigonale, welche wie Hexaëderecken liegen, u. zwölf ungleichkantig vierflächige (rhombische), welche zwischen den ersteren liegen, u. zweimal 24 Kanten. Tetrakishexaëder (Pyramidenwürfel), sind gleichsam Würfel, auf deren Flächen je eine niedrige vierseitige Pyramide aufgesetzt ist, sie sind also von 24 gleichschenkeligen Dreiecken eingeschlossen u. haben 12 längere u. 24 kürzere Kanten. Triakisoktaëder (Pyramidenoktaëder), können als Oktaëder angesehen werden, deren Flächen jede eine dreiseitige Pyramide trägt, sind also ebenfalls von 24 gleichschenkeligen Dreiecken eingeschlossen, haben 12 längere u. 24 kürzere Kanten u. zweierlei Ecken, nämlich sechs achtflächige (ditetragonale), durch welche die Hauptachsen gehen u. acht trigonale. Hexakisoktaëder, von 48 ungleichseitigen Dreiecken umschlossen, haben dreimal 24 Kanten u. dreierlei Ecken, nämlich sechs ditetragonale, die Endpunkte der Achsen, acht sechsflächige u. zwölf rhombische Ecken. b) Semitesserale Formen: aa) geneigtflächig semitesserale Formen (tetraëdrisch-semitesserale Formen): Das Tetraëder, eine von vier gleichseitigen Dreiecken begrenzte Form mit gleichen Kanten u. vier trigonalen Ecken; die Hauptachsen gehen durch die Mittelpunkte je zweier gegenüber liegenden Kanten. Trigon-Dodekaëder, gleichsam ein Tetraëder, auf dessen Flächen je eine dreiseitige Pyramide aufsitzt, ist daher von zwölf gleichschenkeligen Dreiecken umschlossen, hat sechs längere u. zwölf kürzere Kanten; die Hauptachsen verbinden die Mittelpunkte je zweier gegenüberliegenden längeren Kanten; die Ecken sind: vier sechsflächige, welche den Ecken des Tetraëders entsprechen u. vier trigonale Ecken. Deltoid-Dodekaëder, theils dem Tetraëder u. theils dem Rhombendodekaëder ähnliche, von zwölf Deltoiden (Vierecken mit zwei Paar gleichen Seiten) umschlossene Formen mit zwölf längeren u. zwölf kürzeren Kanten, sechs rhombischen, vier spitzeren u. vier stumpferen trigonalen Ecken; die Hauptachsen verbinden je zwei gegenüberliegende rhombische Ecken. Hexakis-Tetraëder, eine von 24 ungleichseitigen Dreiecken umschlossen, meist zu vier sechsflächigen Systemen vereinigte Form, welche bald die allgemeine Gestalt des Tetraëders, bald die des Rhombendodekaeders besitzen, sie haben dreimal 12 Kanten, 4 spitzere, 4 stumpfere sechsflächige u. 6 rhombische Ecken, durch welche letzteren die Hauptachsen gehen. bb) Parallelflächig-semitesserale Formen: Pentagon-Dodekaë der von 12 symmetrischen Fünfecken umschlossen, mit 6 regelmäßigen, meist längeren, u. 24 unregelmäßigen, meist kürzeren Kanten, 8 trigonalen gleichkantigen u. 12 trigonalen ungleichkantigen Ecken; die Hauptachsen verbinden die Mitten je zweier gegenüberliegender regelmäßiger Kanten. Das reguläre Pentagon-Dodekaëder der Geometrie kommt als Krystall niemals vor. Dyakis-Dodekaëder, der letzteren Form im Allgemeinen ähnlich, wird durch 24 gleichschenkelige Trapezoide begrenzt, hat 12 kurze, 24 mittle u. 12 lange Kanten, 6 gleichwinkelig-vierflächige, 8 triagonale u. 12 ungleichwinkelig-vierflächige Ecken. Diese 13 verschiedenen Formen des tesseralen Systems kommen aber sehr oft nicht rein ausgebildet, sondern häufig in Combinationen von zwei, drei od. mehr Formen vor; so werden die Ecken des Oktaeders durch die Flächen des Hexaeders abgestumpft, die Kanten desselben durch das Dodekaëder. Am Alaun u. Bleiglanz beobachtet man zuweilen Oktaëder, deren Kanten durch das Dodekaëder u. deren Ecken durch das Hexaëder abgestumpft stud. Am Hexaëder sind oft die Ecken durch Oktaëderflächen u. die Kanten durch das Rhombendodekaëder gerade abgestumpft, od. die letzteren durch ein Tetrakishexaëder zugeschärft. Das Rhombendodekaëder erleidet durch die Flächen des Oktaeders Abstumpfung der dreiflächigen Ecken. Am Tetraëder bringt die Complementärform eine Abstumpfung der Ecken hervor etc. B) Das Tetragonale K. (quadratische, viergliederige, zwei- u. einachsige, viergliederige pyramidale, monodunetrische K.), hat drei rechtwinkelig auf einander stehende Achsen, von denen zwei gleich, die dritte ungleich ist, welche letztere die Hauptachse ist. Unter den zu diesem System gehörigen Formen unterscheidet man geschlossene u. offene, je nachdem sie den Raum vollständig begrenzen od. nicht. Die einfachsten Formen sind die tetragonalen Pyramiden (Quadratoktaëder), von acht gleichschenkeligen Dreiecken gebildet, können als der Inbegriff von zwei mit ihren quadratischen Grundflächen verbundenen Pyramiden im geometrischen Sinne angesehen werden; sie haben vier in einer Ebene liegende gleiche Kanten (Mittelkanten), welche ein Quadrat bilden u. acht Polkanten, deren je vier sich in den Polen der Hauptachse vereinigen. Ditetragonale Pyramiden, von 16 ungleichseitigen Dreiecken gebildet, die Mittelkante liegt in einer Ebene u. bildet ein gleichseitiges Achteck, dessen abwechselnde je vier Winkel gleich sind (Ditetragon). Ditetragonale Sphenoide, den Tetraedern ähnliche Formen, die von vier ungleichseitigen Dreiecken begrenzt werden. Die tetragonalen Prismen bestehen aus vier der Hauptachse parallelen Flächen, die im senkrechten Querschnitt ein Quadrat bilden; die ditetragonalen Prismen, entsprechend den ditetragonalen Pyramiden, aus acht der Hauptachse parallelen Flächen, deren senkrechter Querschnitt ein Ditetragon darstellt. Das basische Pinakoid ist ein der Basis paralleles Flächenpaar; dieses, wie auch die Prismen, können, da sie offene Formen sind, nie für sich, sondern nur in Combinationen vorkommen. Das tetragonale Skalenoëder, eine Hemiëdrie der ditetragonalen Pyramide, unterscheidet sich in seiner Form dadurch von der tetragonalen Pyramide, daß seine Mittelkante im Zickzack auf- u. niedersteigt. Von Combinationen kommen in diesem System Prismen mit Zuspitzungen der Pyramiden vor, diese Zuspitzung ist, je nachdem die Seitenflächen des Prismas beide Nebenachsen od. nur eine schneiden, entweder auf seine Flächen od. auf seine Kanten gesetzt.[867] Die Polkanten der Pyramiden werden durch eine andere Pyramide, die Mittelkanten durch ein Prisma abgestumpft, auch kommen Abstumpfungen aller Ecken der Pyramide durch ein Prisma u. durch das Pinakoid vor, etc. C) Das Hexagonale K. (sechsgliederige, drei- u. einachsige, rhomboëdrische, monotrimetrische K.), hat vier Achsen, von denen drei unter sich gleich sind u. sich in einer Ebene unter einem Winkel von 60° schneiden, die vierte steht senkrecht auf ihnen u. ist ungleich, sie beherrscht die Symmetrie der Krystallform u. heißt die Hauptachse. a) Holoëdrische Formen: Die hexagonalen Pyramiden sind geometrische Doppelpyramiden, welche sich mit ihren regelmäßig sechsseitigen Grundflächen berühren, sie sind also von zwölf gleichseitigen gleichschenkeligen Dreiecken begrenzt, die Mittelkante liegt in einer Ebene. Die dihexagonalen Pyramiden sind von 24 ungleichseitigen Dreiecken eingeschlossen, es sind zwei mit ihren Grundflächen an einanderstoßende zwölfseitige geometrische Pyramiden, deren Grundflächen ein Dihexagon bilden, d.h. ein regelmäßiges Zwölfeck, dessen abwechselnde Winkel gleich sind. Die hexagonalen Prismen sind offene, von sechs der Hauptachse parellelen Ebenen, begrenzte Formen. Die dihexagonalen Prismen sind von zwölf der Hauptachse parallelen Ebenen umschlossen; das basische Pinakoid besteht aus zwei der Basis parallelen Flächen, sowohl dieses, wie auch die Prismen, können nur in Combinationen vorkommen, am häufigsten kommen hexagonale Prismen mit pyramidaler Zuspitzung od. mit dem Pinakoid vor. b) Hemiëdrische Formen sind in der Regel Rhomboëder od. diesen ähnliche Formen, daher heißt diese Hemiëdrie auch rhomboëdrische Hemiëdrie. Außer den Rhomboëdern, von sechs Rhomben eingeschlossenen Formen, kommen die hexagonalen Skalenoëder vor, welche von zwölf ungleichseitigen Dreiecken umschlossen sind, u. deren Mittelkante nicht in einer Ebeneliegen. Zahlreiche Combinationen dieser rhomboëdrischen Formen finden sich in der Natur bes. am Kalkspath, sehr häufig ist die Combination des Prismas mit dem Rhomboëder. D) Das Rhombische K. (orthotype, zwei- u. zweigliederige, ein- u. einachsige, holoëdrisch-rhombische K.), hat ein System von drei auf einander senkrechten, aber ungleichen u. ungleichwerthigen Achsen, von denen die eine als Hauptachse angenommen wird. Die längere der beiden Nebenachsen heißt Makrodiagonale, die kürzere Brachydiagonale. Die Formen dieses Systems sind nicht sehr zahlreich u. unter einander wenig verschieden, sie sind fast nur holoëdrisch ausgebildet. Die Grundformen dieses Systems bilden die rhombischen Pyramiden; sie sind von acht ungleichseitigen Dreiecken begrenzt, ihre Mittelkante liegt in einer Ebene u. bildet einen Rhombus; die Achsen verbinden je zwei gegenüberliegende Ecken mit einander: ihre hemiëdrischen Formen sind die rhombischen Sphenoide, welche von vier ungleichseitigen Dreiecken umschlossen sind, doch nur sehr selten vorkommen. Die rhombischen Prismen sind von vier, einer Achse parallelen Flächen begrenzt, ihr Querschnitt ist ein Rhombus; die Prismen, deren Flächen mit der Hauptachse parallel laufen, die also vertikal stehen, nennt man Prismen im engeren Sinne, während die horizontalen Prismen, deren Flächen einer der Nebenachsen parallel sind, Doma heißen.

Das der Makrodiagonale parallele Doma heißt Makrodoma, das der Brachydiagonale parallele Brachydoma. Die Pinakoide haben dieselbe Bedeutung wie in anderen Systemen, es gibt, je nachdem sie der Basis od. einem der verticalen Hauptschnitte parallel sind, drei verschiedene Arten, welche als basische Pinakoide, Makropinakoide u. Brachypinakoide unterschieden werden. E) Das Monoklinoëdrische K. (zwei- u. eingliedrige, hemiorthotype, hemiëdrisch rhombische, augitische K.), die Formen desselben werden auf drei Achsen bezogen, von denen zwei unter einem schiefen Winkel gegen einander geneigt sind, während die dritte senkrecht auf der Ebene der beiden ersten steht; letztere heißt die Hauptachse, die beiden anderen aber Orthodiagonale u. Klinodiagonale. Die monoklinoëdrischen Pyramiden sind von acht zweierlei ungleichseitigen Dreiecken umschlossen, ihre Mittelkante liegt in einer Ebene. Jede monoklinoëdrische Pyramide zerfällt in zwei Partialformen, Hemipyramiden, welche, je nachdem sie über dem spitzen od. stumpfen Winkel des orthodiagonalen u. basischen Hauptschnittes liegen, als positive u. negative Hemipyramiden unterschieden werden. Diese beiden Formen sind in ihrem Vorkommen vollkommen unabhängig von einander u. bilden offene, einem Prisma ähnliche Formen, daher kommen sie niemals allein, sondern nur in Combinationen vor. Die monoklinoëdrischen Prismen haben vier gleichwerthige, der Hauptachse parallele Flächen, die Domen dagegen vier ungleichwerthige, der Orthodiagonale parallele Flächen, deren Querschnitt ein Rhomboid ist, sie zerfallen ebenso wie die Pyramiden in zwei von einander unabhängige Hemidomen. Die der Klinodiagonale parallelen Prismen heißen Klinodomen F) Das Triklinoëdrische K. (ein- u. eingliederige, anorthotype, anorthische, tetartoëdrisch-rhombische K.), hat ein Achsensystem von drei unter einander schiefwinkeligen u. vollkommen ungleichen Achsen, von denen die eine als Hauptachse u. die beiden andern als Nebenachsen u. zwar als Makrodiagonale u. Brachydiagonale unterschieden werden. Auch in diesem System wird durch das Achsensystem ein Zerfallen die Pyramiden in Partialformen bedingt, u. zwar besteht jede triklinoëdrische Pyramide aus vier von einander völlig unabhängigen Viertelpyramiden (Tetartopyramiden), dagegen jedes triklinoëdrische Prisma aus zwei Hemiprismen. Diese Partialformen sind ebenfalls offene Formen u. können nur in Combinationen vorkommen. Alle in der Natur vorkommenden krystallisirten Körper, sowie die künstlich dargestellten krystallisirbaren Substanzen erscheinen in Formen dieser sechs Systeme, doch hat Mitscherlich am unterschwefeligsauren Kalk u. dem salpetersauren Quecksilberoxydul ein besonderes K. entdeckt, welches das diklinoëdrische (hemianorthotype) K. genannt wird.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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