Rechtlosigkeit

Rechtlosigkeit

Rechtlosigkeit, bedeutete im Mittelalter im Allgemeinen die Eigenschaft einer Person, vermöge deren sie der bürgerlichen Ehre u. der mit derselben verbundenen Rechte entbehrte. Dieß erfolgte in vier Graden: erste Acht, Ehrlosigkeit, R. im engeren Sinne u. Friedlosigkeit. a) Die erste Acht od. einfache Verfestung wurde in einem Contumacialerkenntnisse bei Friedbrüchen ausgesprochen; sie gab jedem die Befugniß, den Verfesteten überall u. zu jeder Zeit zu ergreifen u. vor Gericht zu stellen, Niemand sollte dem Geächteten Gastrecht od. Schutz gewähren, auch wurde demselben das Recht genommen vor Gericht Zeuge, Vorsprecher od. Urtheiler zu sein; b) die Ehrlosigkeit bestand in dem Verluste der Standesvorrechte u. war die Folge von gerichtlichen Verurtheilungen wegen Verbrechen, welche eine Verletzung bes. heiliger Verpflichtungen, z.B. einen Treubruch, in sich schlossen; c) die R. im engeren Sinne bestand in dem Mangel der Gerichtsfähigkeit, daher bes. in der Unfähigkeit zum Urtheilfinden, zum Lehenerwerbe, gerichtlichen Zeugnisse u. zum Vorsprechen; auch konnten die Rechtlosen kein Wehrgeld (s.d.) ansprechen u. wurden mitunter härter u. unter weniger Förmlichkeiten bestraft. Als Entstehungsgründe kommen theils die uneheliche Geburt u. die Abstammung von Kämpfern, theils gewisse Gewerbe, bes. die der Spielleute, Kämpfer u. Schinder, vor, auch trat dieselbe als Folge einer gerichtlichen Verurtheilung wegen Verbrechen, welche an Hals u. Hand od. Haut u. Haar gingen, ein; ausnahmsweise konnte sie durch Reichsdienst gegen den Reichsfeind u. durch kaiserliche Begnadigung wieder auf gehoben werden; d) die Friedlosigkeit, welche gegen den überwundenen Friedebrecher ausgesprochen wurde, setzte den Friedebrecher mit dem Verluste aller bürgerlichen Ehre zugleich außerhalb alles Rechtes, so daß sich Jedermann an seiner Person u. seinem Vermögen ungestraft vergreifen durfte. Durch die Aufnahme des Römischen Rechtes wurden indessen diese Unterschiede mehr u. mehr verwischt u. verdunkelt, indem zu denselben noch der Begriff der römischen Infamie hinzutrat; da indeß die römische Infamie nicht zu dem einheimischen Rechte paßte, zugleich aber hinsichtlich des Ständewesens u. der processualischen Verhältnisse eine gänzliche Umgestaltung eintrat, so wurden die Ansichten über die frühere R. u. Ehrlosigkeit zuletzt bedeutend modificirt, daß das frühere Recht jetzt als aufgehoben gelten kann, u. eine R. in dem frühern Sinne des Mangels der Gerichtsfähigkeit nicht mehr besteht. Über die geltenden Ansichten von Ehrlosigkeit u. Anrüchigkeit s. u. Ehre B) a) u. b).


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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