Reichsvicar

Reichsvicar

Reichsvicar (Reichsverweser, Provisior, imperii), sonst in jedem Zwischenreich des Deutschen Reichs vor der Wahl des neuen Kaisers od. auch bei Minderjährigkeit od. langer Abwesenheit des Kaisers aus dem Reiche der Verweser der kaiserlichen Würde, welcher in dieser Zeit die oberrichtliche Gewalt führte, Lehen verlieh (doch mit Ausnahme derer, welche vor dem kaiserlichen Thron empfangen werden mußten), Privilegien u. Würden ertheilte, mit Zustimmung der andern Stände Reichsgesetze gab od. die bestehenden auslegte u. Krieg u. Frieden schloß. Er setzte nach dem Tode jedes Kaisers die Reichsvicariatsgerichte statt des Reichshofraths ein, auch das Kammergericht führte während des Vicariats die Wappen beider Kurfürsten statt des kaiserlichen in seinem Siegel. In der Wahlcapitulation od. in einer besonderen Urkunde des neuen Kaisers wurden die vorgenommenen Handlungen des R-s bestätigt. In den Landen. Sächsischen Rechts, also Obersachsen, Niedersachsen u. Westfalen, war R. der Kurfürst von Sachsen, in den Landen Fränkischen Rechts, also Oberrhein, Niederrhein, Franken u. Schwaben, der Kurfürst von der Pfalz, sowie in Italien der Herzog von Savoyen. Österreich u. Baiern erkannten in ihren Erblanden den R. nicht an. Als Pfalz im 17. Jahrh. die Kur u. das Erztruchsessenamt verlor, behauptete Baiern, welches diese beiden Würden erhielt, 1675 nach Ferdinands III. Tode das Recht als R. u. setzte es, da Sachsen, Kurmainz u. das Kammergericht Baiern als R. anerkannte, auch durch. Später, als Joseph I. starb, war Baiern in der Acht, Pfalz verwaltete das Vicariat wieder u. verglich sich 1724 mit dem restituirten Baiern dahin, daß sie das Vicariat gemeinschaftlich führten, nach Karls VI. Tode aber dahin, daß sie mit dem Vicariat abwechselten, womit Baiern nach Karls VII. Tode den Anfang machte. Joseph Il. war schon römischer König, als sein Vater Franz I. starb, es fand daher kein Vicariat Statt; unter Joseph II. fiel aber Baiern durch Aussterben des Hauses an Pfalz u. dasselbe besaß nun das Vicariat wieder unbezweifelt.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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