- Sauerstoff
Sauerstoff (Oxygenium), chemisches Zeichen O; Atomgewicht = 8 (H = 1) od. = 100, gasförmiges Element, gehört zu den Metalloiden, komtmt in der Natur überall verbreitet u. in großen Mengen vor, aber stets entweder mit anderen Gasen gemengt od. an anderen Elementen chemisch verbunden. Er ist neben Stickstoff ein Hauptbestandtheil der atmosphärischen Luft, welche 21 Volumenprocente S. u. 79 Stickstoff enthält; mit Wasserstoff verbunden bildet er das Wasser, welches[955] zu 8/9 seines Gewichtes aus S. besteht; er ist ferner Bestandtheil der meisten Mineralien u. fast aller Pflanzen- u. Thierstoffe. Der S. wurde 1774 von Pristley u. 1775 von Scheele entdeckt, Erster nannte ihn dephlogistisirte Luft, Letzter Feuerluft, Condorcet Lebensluft u. Lavoisier Oxygen, wegen seiner Eigenschaft sich mit anderen Elementen zu Säuren zu verbinden. Man gewinnt den S. durch Erhitzen solcher Substanzen, welche ihn in größerer Menge enthalten u. in höherer Temperatur abgeben, daher durch Erhitzen von Quecksilberoxyd, Braunstein, chlorsaurem Kali etc. Im Großen stellt man ihn durch Glühen von Braunstein (Manganhyperoxyd) in eisernen Gefäßen dar; der Braunstein zerlegt sich dabei in Manganoxyduloxyd u. Sauerstoff: 3MnO2 = MnO, Mn2O3 + 2O; man erhält also 12,9 Proc. S. od. von 3 Pfund Braunstein 4 Cubikfuß S. Auch durch Erhitzen von Braunstein mit Schwefelsäure od. von saurem chromsaurem Kali mit Schwefelsäure stellt man S. dar. Am häufigsten bereitet man ihn durch Glühen von chlorsaurem Kali, welchem man etwas Braunstein od. Kupferoxyd beimischt; das chlorsaure Kali verliert in der Hitze allen S. u. geht in Chlorkalium über; KO, ClO5 = KCl + 6O; 100 Gewichtstheile chlorsaures Kali liefern 39,1 Gewichtstheile od. 1 Pfund etwa 4 Cubikfuß S. Früher benutzte man Salpeter zur Darstellung des S-s; derselbe gibt beim Erhitzen anfangs salpetrigsaures Kali u. S., später wird aber auch das salpetrigsaure Kali zersetzt u. der S. mit anderen Gasen verunreinigt. Boussingault hat ein Mittel zur Gewinnung des S-s aus der atmosphärischen Luft angegeben; er benutzt dazu die Eigenschaft des Baryts, bei nicht zu hoher Temperatur S. zu binden u. denselben bei hinreichend hoher Temperatur wieder abzugeben. Man leitet daher atmosphärische Luft über Baryt, welcher in einer Porzellanröhre glühend gemacht wird, wodurch Bariumhyperoxyd entsteht; dieses wird alsdann stärker erhitzt u. zerfällt dabei wieder in Baryt u. S. Eine neuerdings angegebene Methode S. im Großen darzustellen gründet sich darauf, daß Schwefelsäuredampf in Berührung mit porösen glühenden Körpern in schwefelige Säure u. S. zerfällt. Der S. ist ein permanentes Gas, farblos, geschmack- u. geruchlos; specifisches Gewicht (Luft = 1) = 1,10563 nach Versuchen von Faraday bleibt der S. bei einem Druck von 58 Atmosphären unter gleichzeitiger Abkühlung auf – 95° C. noch gasförmig. Wasser löst ihn in geringer Menge auf; war es zuvor ausgekocht, so nehmen 100 Volumen 4,6 Volumen S. auf. Angezündete Körper brennen im S. u. zwar mit viel größerem Glanze u. stärkerer Wärmeentwickelung, als in der atmosphärischen Luft. So verbrennt Phosphor mit blendend weißer, Schwefel mit lebhaft blauer Flamme; ein glimmender Holzspan u. glimmender Zündschwamm brennen im S. mit heller Flamme, glühende Kohle unter Funkensprühen, ebenso glühend gemachter Eisendraht. Der S. kann sich mit allen Elementen, mit alleiniger Ausnahme des Fluor, verbinden. Man nennt den Proceß der Vereinigung des S-s mit anderen Elementen im Allgemeinen Oxydation; geht dieselbe rasch vor sich, so kann die dabei frei werdende Wärme ein Erglühen des Körpers veranlassen, u. in diesem Falle, wo also die Oxydation unter Lichtentwickelung erfolgt, heißt dieselbe Verbreunung (s.d.). Die Verbindungen anderer Elemente mit S. heißen Oxyde; existiren verschiedene Sauerstoffverbindungen ein u. desselben Elementes, so heißen dieselben Oxydationsstufen, u. zwar niedere od. höhere, je nachdem sie wenig od. viel S. enthalten. Einen Körper mit S. verbinden heißt ihn oxydiren; er ist leicht od. schwer oxydirbar, je nachdem er sich leicht od. weniger leicht mit S. vereinigt. Man unterscheidet unter den Oxyden salzbildungsfähige u. nichtsalzbildungsfähige; die ersteren sind entweder Sauerstoffsäuren od. Sauerstoffbasen; die letzteren enthalten entweder zu wenig od. zu viel S., um als Basen od. Säuren auftreten zu können, u. müssen daher entweder S. aufnehmen od. S. abgeben, um in ein salzbildungsfähiges Oxyd überzugehen. Man unterscheidet sie auch als indifferente Sauerstoffverbindungen. Säuren u. Basen stellen Gegensätze zu einander dar u. charakterisiren sich dadurch, daß sie unter Verlust der sie auszeichnenden Eigenschaften Verbindungen mit einander eingehen, welche Sauerstoffsalze genannt werden. Die in Wasser löslichen Säuren schmecken sauer u. färben den blauen Lackmusfarbstoff roth; die in Wasser löslichen Basen haben einen laugenartigen Geschmack u. färben den durch Säuren gerötheten Lackmusfarbstoff wieder blau. In Bezug auf die Nomenclatur der Sauerstoffverbindungen gilt im Allgemeinen, daß die Verbindungen von analoger Constitution auf gleiche Weise benannt werden. Existirt von einem Element nur ein saures Oxyd, so heißt dies Säure z.B. Kieselsäure, Borsäure; vereinigt sich der S. dagegen mit dem Element in verschiedenen Verhältnissen zu Säuren, so unterscheidet man diese durch Vor- u. angehängte Sylben; so bildet z.B. das Chlor mit dem S. folgende Reihe von Säuren: ClO7 = Überchlorsäure, ClO5 = Chlorsäure ClO4 = Unterchlorsäure, ClO3 = chlorige Säure, ClO = unterchlorige Säure. Vom phosphor sind folgende Säuren bekannt: PO5 = Phosphorsäure, PO3 Phosphorige Säure, PO= Unterphosphorige Säure. Die meisten Metalle verbinden sich mit S. zu nur einer einzigen od. zwei Basen (die Metalloide geben keine entschieden basischen Verbindungen), von denen die sauerstoffreichere Oxyd, die sauerstoffärmere Oxydul genannt wird, z.B.: HgO = Quecksilberoxyd, HgO = Quecksilberoxydul, Fe2O3 = Eisenoxyd, FeO = Eisenoxydul. Existirt nur ein einziges basisches Oxyd, so heißt dieses gewöhnlich Oxyd. Die Oxyde der schweren Metalle wurden früher Metallkalke genannt, so Bleikalk, Zinnkalk, während man gegenwärtig die Oxyde aller Metalle Metalloxyde nennt, so: Bleioxyd, Zinnoxyd, Kupferoxyd; die älteren Namen der Alkalien, alkalischen Erden u. Erden sind jedoch beibehalten worden, so: Kali für Kaliumoxyd, Natron für Natriumoxyd, Kalk (Kalkerde) für Kaliumoxyd, Baryt (Baryterde) für Bariumoxyd, Magnesia (Talkerde, Bittererde) für Magnesiumoxyd, Thonerde (Alaunerde) für Aluminiumoxyd. Die indifferenten Sauerstoffverbindungen, welche weniger S. als die basischen Oxyde enthalten, heißen Hypoxyde (Suboxyde, Unteroxyde), diejenigen, welche mehr S. enthalten, Hyperoxyde (Superoxyde, Überoxyde), z.B.: Bleihypoxyd = Pb2O, Bleioxyd = PbO, Bleihyper-oxyd = PbO2; existiren mehre Hypoxyde u. Hyperoxyde,[956] so unterscheidet man sie als Hypoxydul u. Hypoxyd, Hyperoxydul u. Hyperoxyd. Manche Metalle bilden mit S. basische, sauere u. indifferente Oxyde, z.B. das Mangan: Übermangansäure = Mn2O7, Mangansäure = MnO3, Manganhyperoxyd = MnO2, Manganoxyd = Mn2O3, Manganoxydul = MnO, Manganhypoxyd = Mn2O?. Die indifferenten Sauerstoffverbindungen der Metalloide heißen Oxyde u. Oxydule, so: Kohlenoxyd = CO, Stickstoffoxydul = NO, Stickstoffoxyd = NO2 etc. Die Zerlegung der Sauerstoffverbindungen in S. u. das mit ihm verbundene Element heißt Reduction, eine theilweise Abscheidung des S-s Desoxydation. Hierzu benutzt man hauptsächlich Kohle od. Wasserstoff, welche beide in hoher Temperatur eine so große Verwandtschaft zum S. zeigen, daß die meisten Sauerstoffverbindungen dadurch zerlegt werden. Die Gewinnung der Metalle aus ihren Erzen ist gewöhnlich eine Reduction. Der S. ist die Ursache der Verbrennung organischer Körper in der Luft, er ist daher nothwendig beim Verbrennungsproceß, ebenso beim Athmungsproceß, er bedingt das Rosten der Metalle u. die Verwesung. In den Künsten u. Gewerben hat das reine Sauerstoffgas noch keine bedeutende Anwendung gefunden, da es nicht billig genug dargestellt werden kann. In der Chemie benutzt man es mit Wasserstoff gemischt als Knallgas zur Hervorbringung hoher Hitzegrade u. eines intensiven Lichtes, zur Verbrennung organischer Substanzen bei der Elementaranalyse, in Gurney's Lampe dient es zur Verbrennung des Öles, um ein helles Licht für Leuchtthürme zu erzeugen. Der S. kann in einem anderen allotropischen Zustand auftreten, in welchem er sich mit anderen Körpern bei gewöhnlicher Temperatur so leicht verbindet, wie der gewöhnliche S. bei erhöhter Temperatur; in dieser Modification heißt er Ozon, s.d.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.