- Sündfluth
Sündfluth, aus der gewöhnlich unrichtigen Deutung als einer von Gott zur Bestrafung der sündigen Menschen geschickten Fluth hervorgegangene unrichtige Schreibart für Sindfluth. Luther selbst schreibt nie Sünd-, sondern immer u. in allen Stellen Sind- oder Sintfluth, welches Wort eine große, dauernde Wasserfluth bedeutet. In der Frankfurter Bibel von 1589 findet sich zuerst dreimal S., von wo dann die Schreibart in die andern Ausgaben überging u. endlich allgemein wurde. Fast alle Völker kennen in ihrer Sagengeschichte eine solche allgemeine Überfluthung der Erdoberfläche, wenigstens soweit die Erde ihnen bekannt war, so die Ägyptier (doch hatte die Fluth ihr Land nicht mit betroffen), die Griechen (unter Ogyges u. Deukalion, s. b.), die Chaldäer (unter Xisuthros, s. Chaldäa), Syrier, Phrygier (unter Annakos), Phöniker, Perser, Inder, (welche die Sage von einer S. in dreifacher Gestalt haben, der Gerettete ist dort Mann) Celten (s.u. Hu), Skandinavier (s. Nordische Mythologie), Lappen, Grönländer, Koloschen, Mexikaner (s.u. Mexikanische Religion) u. mehre Völker in Mittel- u. Südamerika, die Sandwichsinsulaner, bes. aber die Hebräer. Von den Letztern wird dieselbe 1. Moses 6–9 (daher Mosaische Fluth) so erzählt: Als das ganze Menschengeschlecht von sittlichem Verderben ergriffen war u. auf Gottes Mahnungen u. Drohungen sich nicht besserte, beschloß Gott dasselbe sammt den Thieren zu vertilgen. Nur den Noah (daher auch Noachitische Fluth) u. dessen Familie fand Gott gerecht u. nahm denselben vom Untergange aus, daher befahl er ihm eine Arche (Schiff) zu bauen u. in dieselbe mit seinem Weibe, seinen Söhnen u. deren Weibern zu gehen u. von allen Thieren ein Männchen u. ein Weibchen mitzunehmen. Die Arche war von Cedern- od. Förenholz, 300 Ellen lang. 50 Ellen breit, 30 Ellen hoch, mit drei Decken. Noah nahm von jeder reinen Thiergattung sieben Paare, von jeder unreinen ein Paar mit. Als er sieben Tage in der Arche war, begann am 17. Tage des zweiten Monats (Kislev) des Jahres 1656 nach Erschaffung der Welt (2327 v. Chr. nach Petavius) die S., alle Brunnen der Tiefe öffneten sich u. es regnete ununterbrochen 40 Tage u. 40 Nächte lang, die Fluthen hoben die Arche empor u. wuchsen so, daß sie 15 Ellen über die höchsten Berge gingen, alle Menschen u. Thiere, die nicht in der Arche waren, kamen aber um. Nach 150 Tagen, da das Wasser stand, wurden die Brunnen der Tiefe verstopft u. hörte der Regen auf, es erhob sich ein Wind, der die Fluthen abtrocknete. Am 17. Tage des siebenten[95] Monats (Nisan) saß aber die Arche auf dem Gebirge Ararat auf. Es verlief die Fluth immer mehr u. mehr ü. nahm ab bis zum ersten Tag des zehnten Monats (Tammuz), wo die Bergspitzen aus dem Wasser hervorsahen. Nach 40 Tagen ließ Noah einen Naben aus der Arche, der immer hin- u. herflog, bis das Wasser vertrocknet war. Dann ließ er eine Taube fliegen, die aber wieder kam, da sie nicht fand, wo ihr Fuß ruhen konnte. Nach sieben Tagen ließ er noch eine Taube stiegen, die, ein Ölblatt im Schnabel tragend, auch wiederkam; eine dritte, nach noch sieben Tagen entlassene lehrte aber nicht wieder. Noah erkannte daraus, daß die Erde nun trocken geworden war, nahm das Dach von der Arche u. am 27. Tage des zweiten Monats, nachdem er über ein Jahr darin gewesen war, stieg er aus seiner Arche, errichtete einen Altar u. opferte Gott von allerhand reinem Gethiere, u. Gott versprach keine S. mehr über die Erde kommen zu lassen, sondern segnete Noah u. sein Geschlecht u. zum Zeichen des Bundes ließ er einen Regenbogen in den Wolken erscheinen. Viel haben sich Theologen u. Physiker bemüht eine Erklärung dieser S. nach dem Wortlaut der Bibel zu liefern. Nach Whiston war das Zusammentreffen der Erde mit einem Kometen die Ursache der Fluth; nach Silberschlag wurde die atmosphärische Luft entspannt; nach de Luc brachen die Felsengewölbe der großen unterirdischen Wasserbehälter zusammen u. die Fluth trat als Meer aus diesen hervor. Auch die Geologen stellen verschiedene Theorien der Ursache einer allgemeinen Fluth auf; einige nahmen, um die physikalische Unmöglichkeit eines so ungeheuren Regens aus der ganzen Erde u. eines gleichzeitigen Erhebens aller Meere aus dem Wege zu räumen, eine partielle Überfluthung in Süd- od. Westasien, od. am Ganges an; Andere glaubten, daß die Erzählung der S. durch Moses nur eine Tradition sei u. daß man die Idee einer Strafe für begangene Sünden nur deshalb in ihr finde, da die Orientalen überhaupt gewohnt waren in allen außerordentlichen Naturereignissen eine Strafe Gottes zu erkennen. Noch andere Widersprüche, so: daß das Wasser 15 Ellen über den höchsten Bergen gestanden habe, was bei der verschiedenen specifischen Höhe nicht möglich ist, da, wenn sie das Gebirge Ararat auch überfluthete, der Himalaja doch um mehr als die Hälfte daraus hervorgeragt haben würde, finden darin ihre Erledigung, daß die Fluth auch über den Himalaya 15 Ellen weggegangen, od. daß unter Bergen nur von denen Westasiens die Rede gewesen sei. Die symbolische Erklärung findet in der Arche, wenigstens in der indischen, ein Symbol des Lingam, in dem sich die Lebenskraft der untergegangenen Welt bewahrt habe, um nach der Zerstörung von Neuem zu produciren; Buttmann findet in der Arche ein ägyptisches Kalenderbild, welches dem Landmann Warnung für die Nilüberschwemmung geben sollte u. später irrig historisch gedeutet worden sei etc. Um die Möglichkeit der im 1. Buch Moses beschriebenen Arche zu beweisen, baute der Mennonit Peter Janson 1609 in Nordholland u. der Kaufmann Livorn zu Horn in Schottland 1694 Schiffe genau nach den beschriebenen Dimensionen u. beide hielten See u. hatten auch vorzügliche Tragbarkeit. Vgl. Cockburn, Enquiry into the truth and certainty of the Mosaix diluve, Lond. 1750; P. Picot, De diluvio; F. W. Sack, Die S. mit forschendem Auge betrachtet, Bresl. 1782; Pott, Über den Schöpfungsmythus u. die Noachische Fluth, 1799; P. Buttmann, Über den Mythus der S., Berl. 1812 (2. Ausg. 1819); v. Meyer, Zeugnisse der heiligen Schrift über die Urwelt u. ihre Verwandlungen, in den Hesperiden II 197 ff. I. Richers, Die Schöpfungs-, Paradieses- u. Sündfluthgeschichte, Lpz. 1854. Neve, La tradition indienne du déluge dans sa forme plus ancienne, Par. 1857; Bopp, Diluvium, aus dem Mahabharata, Berl. 1829, deutsch ebd. 1829.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.